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Auf gluehenden Kohlen

Auf gluehenden Kohlen

Titel: Auf gluehenden Kohlen
Autoren: Phillip Margolin
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»Die Ärzte kommen gleich.« Richards Körper zuckte. Seine Augen wurden glasig. Beide Männer lagen nun am Boden. Peter hielt den Kopf seines Vaters im Schoß. Er war so ausschließlich mit seinem Vater beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie immer mehr Menschen herein gehastet kamen. Plötzlich machte Richard die Augen auf und keuchte: »Verfahrensfehler.« »Was?«
    »Plädiere... Verfahrensfehler... Musst...« »Nicht sprechen. Bitte, Dad. Schon deine Kräfte.« Richard packte Peter am Handgelenk und drückte so fest zu, dass seine Finger tiefe, rote Abdrücke hinterließen. »Musst... Verfahrensfehler«, brachte er wieder heraus. »Ja, mache ich«, versprach Peter, gerade als jemand rief: »Lassen Sie mich durch.« Peter sah zur Tür. Er erkannte die ältere Frau, die sich durch die herumstehenden Leute drängte. Sie war eine Krankenschwester, angestellt von der Kanzlei, um bei der Bearbeitung von Personenschadensfällen zu helfen. Einen Moment später stand er auf der anderen Seite des Konferenztisches, während die Schwester versuchte, seinem Vater das Leben zu retten. Der Gedanke, dass Richard Haie sterben könnte, nahm Peter einfach die Luft. Er sackte auf einen Stuhl, als zwei Sanitäter mit Sauerstoff, einer Trage und einem transportablen Infusionsgerät ins Zimmer eilten. Peters Mutter war vor mehreren Jahren nach langer Krankheit gestorben, und ihren Tod hatte man erwartet, aber sein Vater war für Peter wie ein Berg, der ewig leben würde. Als er aufblickte, konnte er seinen Vater durch das Gewühl des ärztlichen Personals, das ihn umringte, nicht sehen. Was, wenn Richard nicht durchkam?, fragte er sich. Peters Herz klopfte so schnell, dass er sich zwingen musste, sich zu beruhigen. Die plötzliche Angst ging vorbei. Er öffnete die Augen und sah seinen Aktenkoffer und die Akten. Der Prozess! Peter sah auf seine Uhr. Es war fast Zeit, zum Gericht zu gehen. Mit einem Mal traten die Leute vor der Tür einen Schritt zurück, und die Sanitäter eilten mit der Trage, auf der sein Vater lag, aus dem Zimmer. Peter wäre ihnen am liebsten zum Krankenhaus gefolgt, aber jemand musste Mrs. Elliot sagen, was passiert war, und Richter Pruitt bitten, auf Verfahrensfehler zu erkennen. Er hatte jetzt sowieso keine Möglichkeit, seinen Vater zu sehen. Wahrscheinlich würde er stundenlang im Warteraum des Krankenhauses sitzen müssen, ehe ihm die Ärzte irgendetwas sagen konnten. Peter trat aus dem Konferenzzimmer hinaus auf den Gang. Er war leer. Alle waren den Sanitätern zum Aufzug gefolgt. Peter ging in die andere Richtung, weg von den Leuten, und verließ die Kanzlei durch eine Hintertür gleich neben der Herrentoilette. Er zitterte und fühlte sich erhitzt. Er ging in die Toilette, trat ans Waschbecken und klatschte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Dann beugte er sich vor und betrachtete sich im Spiegel. Sein braunes, föngetrocknetes Haar war zerzaust, sein Hemd war zerknittert, und seine Krawatte hing auf der Seite. Peter holte einen Taschenkamm hervor und machte ihn nass. Als sein Haar wieder vorzeigbar war, strich er sein Hemd glatt und richtete die Krawatte.
    Noch einmal betrachtete sich Peter. Er sah einen Mann, dessen genetisches Erbe m ütterlicherseits die scharfen Gesichtszüge, die sein Vater beigesteuert hatte, gemildert hatte. Peter hatte die strahlendblauen Augen seines Vaters, aber auch die glatten, hohen Wangenknochen seiner Mutter. Seine Nase war gerade, nicht so grob, und seine Lippen waren schmaler als die Richard Haies. Mit einsachtundsiebzig und zweiundsiebzig Kilo war er schlank und drahtig und hatte nichts von der Massigkeit und Größe seines Vaters.
    Peter richtete sich auf. Er hatte das Gef ühl, sich und die Lage wieder unter Kontrolle zu haben. Im Augenblick konnte er nichts für seinen Vater tun. Richard war sicher ohne Bewusstsein oder für Stunden unter Medikamente gesetzt. Peter beschloss, dem Richter rasch zu erklären, was geschehen war, bevor er sich auf den Weg zum Krankenhaus machte. Pruitt würde unter diesen Umst änden sicher auf Verfahrensfehler erkennen. Kein Richter würde verlangen, einen Prozess fortzusetzen, wenn der Hauptbevollmächtigte einen Herzinfarkt erlitten hatte.
    Mit dem Aufzug fuhr Peter hinunter in die Vorhalle. Das Gerichtsgeb äude war nur ein paar Querstraßen entfernt. Während er darauf zueilte, kam ihm plötzlich ein beunruhigender Gedanke. Mrs. Elliot litt schrecklich. Er sah, wie schwer es für sie war, den Prozess durchzustehen, physisch wie
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