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Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)

Titel: Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
Autoren: Lydia Benecke
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sehr genau plant, was ihr Verhalten in anderen Menschen bewirken wird; dass sie sehr gut einschätzen kann, was in anderen vorgeht; dass sie sehr gelassen und extrem vernünftig wirken kann. Dieser Zustand kann aber komplett »kippen«, wenn bei ihr heftige Gefühle ausgelöst werden – vor allem wenn sie fürchtet, von einem ihr sehr wichtigen Menschen verlassen zu werden.
    Wer immer sich diese Serienfigur ausgedacht hat – es muss jemand mit sehr guten Kenntnissen in Psychologie gewesen sein. Denn eine solche »Mischform« zwischen Borderlinern und Psychopathen gibt es tatsächlich. Sie wird jedoch oft nicht erkannt. Die sadistischen psychopathischen Serienmörder Jeffrey Dahmer, Ted Bundy und John Wayne Gacy hatten allesamt auch einige typische Borderliner-Eigenschaften, wie sie beispielsweise Valeska Vitt-Mugg in ihrer als Buch herausgegebenen, sehr lesenswerten Doktorarbeit zum Thema »Sexuell sadistische Serientäter« beschreibt.

Sag mir, was du dir am meisten wünschst …
– Dann sage ich dir, wer du bist.
    Nathan Leopold und Richard Loeb, die »Advokaten des Teufels« aus den USA, waren in ihren Persönlichkeiten den italienischen »Kollegen« Ferraro und Scattone sehr ähnlich – obwohl sie zu verschiedenen Zeiten auf verschiedenen Kontinenten lebten. Psychopathen und gefährliche Sadisten gab es schon immer und wird es so lange geben, wie es Menschen gibt. Daher irrte der Anwalt der beiden jungen Täter aus den USA, als er in seinem Abschlussplädoyer meinte, ihre Tat sei vollkommen einzigartig.
    Auffallend auch, dass alle vier Täter das gleiche Fach studierten. Aber Jura ist, aus »psychopathischer Sicht«, keine abwegige Studienwahl. Erstens eröffnet es einem guten Studenten glänzende Karriereoptionen, die Aussicht auf Ansehen, Macht und Geld. Zweitens fordert Jura vor allem das logische, abstrakte Denken sowie das Erkennen und Anwenden von Regeln, also von »psychopathischen Gehirnen« stark benutzte Hirnbereiche. Drittens haben Studenten in diesem Studienfach mit Verbrechen zu tun. Besonders die Beschäftigung mit schweren Verbrechen bietet aber viel Abwechslung, ist also ein gutes Mittel gegen Langeweile. Und Psychopathen hassen schließlich kaum etwas mehr als Langeweile.
    Natürlich gibt es auf der ganzen Welt Jurastudenten. Daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei derartig ähnliche Psychopathen-Exemplare sich ausgerechnet an einer Fakultät begegnen, nicht besonders groß. Doch sie ist in diesem Studienfach auf jeden Fall größer als in anderen. Bevor ich nun unter einer Flut von wütenden Protestbriefen ersticke: Nein, ich behaupte nicht, dass Juristen grundsätzlich Psychopathen sind.
    In beiden Fällen ist weiterhin interessant, dass es sich um ein Täter-Duo handelte. Dies überrascht allerdings nicht weiter, wenn man an ihre Persönlichkeiten denkt: Schon bevor sie sich kennenlernten, hatten diese Täter ein psychopathisch übersteigertes Selbstwertgefühl. Dieses putschten sie nun gegenseitig immer weiter hoch, bis zu einem selbst für Psychopathen ungewöhnlichen Größenwahn. Ihre Taten waren der Versuch, diesen gemeinsamen Größenwahn Wirklichkeit werden zu lassen. Insofern ist es unwahrscheinlich, dass jemand von ihnen einzeln eine solche Tat begangen hätte.
    Dies zeigen auch die weiteren Lebensgeschichten zumindest dreier der vier »Teufelsadvokaten«. Ferraro und Scattone nutzten ihre juristischen Fähigkeiten, um den gegen sie eröffneten Indizienprozess so gut zu ihren Gunsten zu beeinflussen wie nur möglich. Sechs Jahre zog sich der Prozess schließlich hin. Die Zeugenaussagen wurden immer widersprüchlicher. Am Ende standen die Richter vor einem einzigen Chaos. Nur aufgrund des großen öffentlichen Drucks, die beiden Angeklagten nicht straffrei davonkommen zu lassen, erging schließlich 2003 ein Urteil: Giovanni Scattone und Salvatore Ferraro wurden wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.
    Angesichts des einzigen in Frage kommenden Motivs – einen heimtückischen perfekten Mord zu begehen – ist dieses Urteil zutiefst absurd. Doch im Vergleich zur wahrscheinlichen Alternative – einem Freispruch – war es für die Richter das »kleinere Übel«. Als mutmaßlicher Schütze wurde Scattone zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, sein Freund Ferraro bekam etwas weniger als sechs Jahre. Da sie einen Großteil der Haftzeit bereits während des Prozesses abgesessen hatten, waren beide bald darauf wieder freie Männer. Bis heute – zehn Jahre später – ist keiner
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