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Auch Santiago hatte einen Hund

Auch Santiago hatte einen Hund

Titel: Auch Santiago hatte einen Hund
Autoren: Peter Lindenthal
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denn ich hatte Land und Leute tief in mein Herz geschlossen. Aber ich wusste, dass ich die dort gewonnenen (Menschen-) Freunde mit großer Wahrscheinlichkeit Wiedersehen würde - was heute, 36 Jahre später, immer noch geschieht. Der Abschied von Ajiz war jedoch ein endgültiger, denn für die Dauer meines Studiums und für einige Zeit darüber hinaus würde ich sicher nicht nach Guatemala kommen. Deshalb beschloss ich, wenn ich meinen Freund schon nicht nach Österreich mitnehmen konnte, wenigstens seinen Namen mitzunehmen, und sollte ich jemals einen eigenen Hund haben, so wollte ich diesen Ajiz nennen. Es bedeutet in der Maya-Sprache Quiché Zauberer.
     
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    DONNERSTAG, 24. JUNI
    LA BRAYETTE - STAUSEE VON BOSMELEAC
     
    Der Morgen beginnt, wie der gestrige Tag geendet hat - mit Sonne! Auch mein inneres Hoch hält an und nach dem herzlichen Abschied von meinen Freunden - das sind sie mittlerweile wohl geworden - finde ich gleich den guten Rhythmus vom Vortag. Der Weg bis zur Wallfahrtskirche NOTRE-DAME-DE-LA-PITIÉ passt perfekt zur Stimmung, es ist ein wunderschöner, uralter Hohlweg, der in einer aus riesigen Eichen und Kastanien bestehenden Allee verläuft. Auch nach der gotischen Wallfahrtskirche komme ich gut voran, das Wetter spielt mit, die Füße ebenso, der Rucksack drückt nicht, kurz, die drei für das Pilgerbefinden ausschlaggebenden Faktoren sind im grünen Bereich.
    Nach einer kurzen Apfel- und Wasserpause in der Sonne auf dem Gras vor der bezaubernden Marienkirche NOTRE-DAME-DE-LA-GRIMOLET warten bis QUINTIN ein paar Asphaltkilometer auf mich, die positive Energie von gestern Abend und heute früh trägt mich jedoch immer noch und pünktlich zur Mittagspause erreiche ich nach CHÂTELAUDREN die zweite cité de caractère - ein Ehrentitel für besonders schöne und gut erhaltene mittelalterliche Orte in der BRETAGNE. Im Supermarkt am Stadtrand decke ich mich mit Proviant fürs Mittagessen ein (wenn möglich, mache ich das immer knapp vor der Mahlzeit, auf diese Weise muss ich den Proviant nicht weit tragen) und freue mich auf Pause und Jause, inklusive Siesta, die erste, endlich, im Park am südlichen Stadtrand, den ich von meinen Recherchen her kenne. Doch mit meiner ersten richtigen Siesta - so wichtig für die Regeneration von Körper und Seele bei Etappen von durchschnittlich 30 Kilometern - wird es wieder nichts. Wolken ziehen auf, bedecken bald den Himmel, und dann bonjour le vent et la pluie, die alten Bekannten Wind und Regen! Eine Parkbank unter einem Baum bietet ein wenig Schutz, aber unter gemütlich stelle ich mir etwas anderes vor und von Siesta kann natürlich keine Rede sein. Nur die Enten, die binnen kurzem in großer Zahl meinen Rastplatz umzingeln, profitieren vom schlechten Wetter, da ich sie in meinem Frust großzügig mit Brotkrumen füttere. Dabei mache ich äußerst interessante Beobachtungen über Futterneid, Hack- und Rangordnung, List und Hinterlist, Feigheit, Dummheit, aber auch Mut und Souveränität. Kommt mir bekannt vor.
    Es ist wie verhext! Zum zweiten Mal spüre ich nach der Mittagspause sehr deutlich, wie wichtig eine Siesta gewesen wäre. Kurz nach Verlassen des Städtchens, nach der gotischen Kapelle des SAINT-EUTROPE, im dritten Jahrhundert Bischof von SAINTES (nördlich von Bordeaux), steigt die Straße auf etwa zweieinhalb Kilometern Länge bis zum höchsten Punkt meiner gesamten Pilgerreise an, dem COL DE LANFAINS auf „lächerlichen“ 322 Metern Seehöhe. Sie überwindet dabei zwar „nur“ 150 Höhenmeter, aber diese habe ich, weil sie schnurgerade verläuft, immer vor mir, und die Kuppe will einfach nicht näher rücken! Nach etwa 40 Minuten habe ich es endlich geschafft und schleppe mich, schweißgebadet und völlig ausgetrocknet, ins Dorfbistro gleich nach der Kuppe, wo ich unter den staunenden Blicken des Barbesitzers und seiner Gäste fast einen Liter eiskalten Wassers in mich hineinschütte. (Die Cafés in Frankreich haben immer gekühltes Leitungswasser, und gerne füllt man den Becher des Pilgers.) Man sollte nicht überstürzt trinken, ich weiß, aber es tut halt so gut!
    Erfrischt und gut gelaunt mache ich mich auf den letzten Abschnitt der heutigen Etappe. Es geht nur mehr bergab (logisch, vom höchsten Punkt), kein Wunder, dass dies des Pilgers Herz erfreut. Schon während des Aufstiegs auf den COL DE LANFAINS ist wieder die Sonne herausgekommen, es wird also ein feiner Abend am Stausee von BOSMÉLÉAC, wo ich zum ersten Mal mein Zelt aufstellen
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