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Aschebraut (German Edition)

Aschebraut (German Edition)

Titel: Aschebraut (German Edition)
Autoren: Alison Gaylin
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zwischen anderen verlassen wirkenden Gebäuden lag. Die einzigen Lichter in der Straße brannten in der winzigen Autolackiererei drei Häuser weiter.
    »Hallo! Hallo, Sir!«
    RJ hatte gerade die Straße überqueren wollen, drehte sich aber noch einmal um und sah den Obdachlosen, der vor einem Maschendrahtzaun hockte und die Hand zum Gruß erhob. Er sah aus wie ein Berg Schmutzwäsche mit einem Kopf, und sein Gesicht und seine Haare waren derart dreckig, dass die Hautfarbe unmöglich zu erkennen war.
    »Mr Steven Spielberg! Ihre Filme sind echt klasse, Mann.«
    Hatte dieser Penner diese Sätze tatsächlich gesagt – oder spielte sein Hirn ihm einen Streich?
    Dessen ungeachtet fragte sich RJ, was seine Kumpel von der Filmakademie wohl sagen würden, wenn sie ihn jetzt sahen – wie er, seine Dodgers-Kappe auf dem Kopf, die Tasche mit der Canon EOS 5D Mark II lässig über einer Schulter, wie der große Meister höchstpersönlich durch die Tür des Studios trat …
    RJ entfuhr ein leises Schnauben. Selbst in der Privatheit seiner eigenen Gedanken kam ihm dieser Ausdruck ziemlich übertrieben vor – Kumpel von der Filmakademie. Schließlich hatte er die Schule schon nach einem Vierteljahr geschmissen, und vor allem hatte er ganz sicher keine Kumpel dort gehabt. Weil das lauter großkotzige, affektierte Lackaffen gewesen waren. Verwöhnte Sprösslinge stinkreicher Eltern, und sie hatten ständig irgendwelche abgehobenen Phrasen über Fassbinder und französischen Expressionismus von sich gegeben, Steven Spielberg als banal bezeichnet – Himmel, nicht mal Schindlers Liste hatten sie gemocht – und auf RJ herabgesehen, nur weil er nicht reich und jung und arrogant wie sie gewesen war.
    Die Lehrer waren noch schlimmer gewesen. Und der eine Typ, der so getan hatte, als wäre er sein Freund … Shane. O Mann. Der war ein noch größerer Widerling, als all die Kinder reicher Eltern und selbstherrlichen Lehrer es gewesen waren.
    In Wahrheit war die Filmakademie einfach der letzte Scheiß. Selbst in zwanzig Jahren dort hätte er nicht mal halb so viel wie durch das Schneiden von billigen Softpornos gelernt. Das war nicht einfach so dahergesagt. Das hatte die Erfahrung ihn gelehrt.
    Er dachte an die Kündigung zurück, die er Charlie, seinem Boss bei Happy Endings , letzte Nacht gemailt hatte, und hoffte, dass der Mann verstand, wie dankbar er ihm war. Aber Charlie müsste auch verstehen, dass RJ kurz vor seinem endgültigen Durchbruch stand. Bald hätte er Lula Belle, die Lula Belle, vor seiner Linse – und danach würde die ganze Welt sie sehen. Endlich hatte er sein großes Ziel erreicht.
    Er betrat das Haus, in dem das Studio lag, und merkte, dass er lächelte. »Ab heute läuft mein Leben rund«, flüsterte er glücklich. Endlich machte sich die jahrelange positive Selbstbestätigung bezahlt.
    Im Foyer des Hauses gab es keinen Empfangstresen und noch nicht einmal eine Hinweistafel. Aber RJ war viel zu glücklich, um zu sehen, dass das vielleicht ein schlechtes Zeichen war. Nein, bei dieser schäbigen Adresse und der schmuddeligen Eingangshalle war das Studio selbst wahrscheinlich supergeil. Weil es das in dieser Branche schließlich öfter gab. Wie die Bude in der ausgedienten Lagerhalle in der Lower East Side, in der er einmal auf einem Fest gewesen war. Einer von den Pornoregisseuren – ein echt netter Typ mit Namen Byron Ryder – hatte dort gelebt. Einen solchen Dreck wie in der Eingangshalle hatte RJ nie zuvor gesehen, und er hatte Angst gehabt, sich gleich eine ganze Reihe ekelhafter Krankheiten zu holen, wenn er dieses Haus auch nur betrat. Dann aber war er hinaufgegangen in Ryders Wohnung, die sich über die gesamte erste Etage erstreckt hatte, und hatte seinen Augen nicht getraut.
    Denn mit einer riesengroßen Marmorwanne, einem Flachbildschirm, der praktisch eine ganze Wand einnahm, und den hohen Decken mit den sagenhaften Kranzprofilen aus dem neunzehnten Jahrhundert, deren Anblick einem regelrecht die Tränen in die Augen trieb, hatte das Apartment mindestens so abgefahren wie das Loft der Tussi aus Flashdance ausgesehen. Was man an der Sicherheit des Hauses spart, kann man in privaten Luxus investieren, hatte Ryder ihm erklärt.
    Er drückte auf den Knopf des Fahrstuhls, wartete, und als die Tür sich endlich knirschend öffnete, nahm er den beißenden Uringestank, die Graffiti und Flecken trockenen Bluts, das sicher schon vor einer Ewigkeit bei irgendeiner Schlägerei vergossen worden war, kaum
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