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Ansichten Eines Clowns

Ansichten Eines Clowns

Titel: Ansichten Eines Clowns
Autoren: Heinrich Boll , Heinrich Böll
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Busen der evangelischen Kirche schmeißen. Nur: als ich Busen dachte, fröstelte mich. An Luthers Brust hätte ich mich schmeißen können, aber »Busen der evangelischen Kirche« - nein. Wenn ich schon heuchelte, wollte ich mit Erfolg heucheln, möglichst viel Spaß dabei haben. Es würde mir Spaß machen, einen Katholiken zu heucheln, ich würde mich ein halbes Jahr ganz
    predigten zu gehen, bis ich anfing, von Katholons zu wimmeln wie eine schwärende Wunde von Bazillen. Aber damit nahm ich mir eine letzte Chance, in Vaters Gunst zu gelangen und in einem Braunkohlenbüro Verrechnungsschecks zu unterschreiben. Vielleicht würde meine Mutter mich in ihrem Zentralkomitee unterbringen und mir Gelegenheit geben, dort meine Rassentheorien zu vertreten. Ich würde nach Amerika fahren und vor Frauenclubs als lebendes Beispiel der Reue der deutschen Jugend Vorträge halten. Nur, ich hatte nichts zu bereuen, gar nichts, und ich würde also Reue heucheln müssen. Ich konnte ihnen auch erzählen, wie ich Herbert Kalick die Asche vom Tennisplatz ins Gesicht geworfen hatte, wie ich im Schießstandschuppen eingesperrt gewesen war und später vor Gericht gestanden hatte: Vor Kalick, Brühl, Lövenich. Aber wenn ich es erzählte, wars schon geheuchelt. Ich konnte diese Augenblicke nicht beschreiben und sie mir wie einen Orden um den Hals hängen. Jeder trägt die Orden seiner heldenhaften Augenblicke an Hals und Brust. Sich an die Vergangenheit klammern ist Heuchelei, weil kein Mensch die Augenblicke kennt: wie Henriette in ihrem blauen Hut in der Straßenbahn gesessen hatte und weggefahren war, um die heilige deutsche Erde bei Leverkusen gegen die jüdischen Yankees zu verteidigen.
    Nein, die sicherste Heuchelei und die, die mir am meisten Spaß machen würde, war

    »auf die katholische Karte setzen«. Da gewann jede Nummer.

    Ich warf noch einen Blick über die Dächer der Universität hinweg auf die Bäume im Hofgarten: da hinten zwischen Bonn und Godesberg auf den Hängen würde Marie wohnen. Gut. Es war besser, in ihrer Nähe zu sein. Es wäre zu leicht für sie, wenn sie denken konnte, ich wäre dauernd unterwegs. Sie sollte immer damit rechnen, mir zu begegnen, und jedesmal schamrot werden, wenn ihr einfiel, wie unzüchtig und ehebrecherisch ihr Leben verlief, und wenn ich ihr mit ihren Kindern begegnete, und
    sie trügen Regenmäntel, Anoraks
    oder Lodenmäntel; ihre Kinder würden ihr plötzlich nackt vorkommen.

    Es wird geflüstert in der Stadt, gnädige Frau, daß Sie Ihre Kinder nackt umherlaufen lassen. Das geht zu weit. Und Sie haben ein kleines m vergessen, gnädige Frau, an entscheidender Stelle; wenn Sie sagen, daß Sie nur einen Mann lieben - hätten Sie sagen müssen meinen. Es wird auch geflüstert, daß Sie über den dumpfen Groll lächeln, den jeder hier gegen den nährt, den sie den Alten nennen. Sie finden, daß alle ihm auf eine vertrackte Weise ähnlich sind. Schließlich - finden Sie - halten sich alle für so unersetzlich, wie er sich hält, schließlich lesen alle Kriminalromane. Natürlich passen die Umschläge der Kriminalromane nicht in die geschmackvoll eingerichteten Wohnungen. Die Dänen haben vergessen, ihren Stil auf die Umschläge für Kriminalromane auszudehnen. Die Finnen werden so schlau sein und ihre Umschläge den Stühlen, Sesseln, Gläsern und Töpfen anpassen. Sogar bei Blothert liegen Kriminalromane herum, waren nicht schamhaft genug versteckt an jenem Abend, als man das Haus besichtigte.
    Immer im Dunkel, gnädige Frau, in Kinos und Kirchen, in dunklen Wohnzimmern bei Kirchenmusik, die Helligkeit der Tennisplätze scheuend. Viel Geflüster. Die Dreißig-, die Vierzigminuten-Beichten im Münster. Kaum verhohlene Empörung im Blick der Wartenden. Mein Gott, was hat denn die soviel zu beichten: hat den hübschesten, nettesten, fairsten Mann. Richtig anständig. Eine entzückende kleine Tochter, zwei Autos.
    Die gereizte Ungeduld da hinterm Gitter, das endlose Hin- und Hergeflüster über Liebe, Ehe, Pflicht, Liebe und schließlich die Frage: »Nicht einmal Glaubenszweifel - was fehlt Ihnen denn, meine Tochter?«
    Du kannst es nicht aussprechen, nicht einmal denken, was ich weiß. Dir fehlt ein Clown, offizielle Berufsbezeichnung: Komiker, keiner Kirche steuerpflichtig.
    Ich humpelte vom Balkon ins Badezimmer, um mich zu schminken. Es war ein Fehler gewesen, Vater ungeschminkt gegenüberzustehen und gegenüberzusitzen, aber ich hatte mit seinem Besuch ja am wenigsten rechnen können.
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