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AnidA - Trilogie (komplett)

AnidA - Trilogie (komplett)

Titel: AnidA - Trilogie (komplett)
Autoren: Susanne Gerdom
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erblickst. Denk immer daran: Dir kann nichts geschehen.«
    Ida starrte in die Schale und sah ihr Gesicht und das ihrer Tante nebeneinander. Beide schienen gegenläufig älter und jünger zu werden. Fasziniert beobachtete Ida, wie ihr eigenes mageres Gesicht zu dem einer ernsten jungen Frau wurde, während das ihrer Tante sich glättete und verjüngte, und wie sie und Ylenia sich schließlich glichen wie Zwillingsschwestern. Beide sahen sie ernst und eindringlich an, beinahe so, als wollten sie ihr eine stumme Botschaft übermitteln. Eine von ihnen hob ihre Hand. Ida erblickte einen schmalen Ring an ihrem Finger, der in einem seltsamen, fahlen Licht schimmerte. Die Lippen ihres Ebenbildes bewegten sich, und Ida beugte sich tiefer über die Schale, um die Worte zu verstehen. »... Ringe ...«, wisperte eine Stimme, und dann glaubte sie, laut und deutlich das Wort »Herz« zu vernehmen. Die Flüssigkeit begann träge Wellen zu werfen. Das Bild darin verzerrte sich und wurde schließlich völlig unkenntlich. Ida blinzelte und wollte ihre brennenden Augen von dem Übelkeit erregenden Wabern und Schwappen in der Schale abwenden, aber sie bemerkte voller Schrecken, dass sie vollkommen unfähig war, auch nur ein Glied zu rühren. Sie spürte entfernt den harten Griff Ylenias auf ihrer Schulter und hörte sie mit scharfer Stimme etwas rufen, aber es war, als würde diese Schulter jemand anderem gehören und sie selbst aus weiter Entfernung nur sehen, wie eine Hand sie drückte. Die seltsame Flüssigkeit wirbelte immer schneller herum und öffnete sich wie ein Trichter, um Ida einzusaugen. Sie fiel mit einem lautlosen Schrei und tauchte kopfüber hinein in das wirbelnde, lautlos brausende, ölige Meer.
    Es riss sie heftig herum, benahm ihr Atem und Orientierung und ließ sie sich vor Übelkeit krümmen. Sie wollte sich erbrechen, aber ihr Körper, wiewohl in dem allumfassenden Strudel gefangen, schien immer noch nicht wirklich zu ihr zu gehören.
    »Hilf mir«, schrie sie lautlos. »Tante Ylenia, hilf mir!« Der Wirbel wurde immer schneller, riss sie erbarmungslos mit sich. Es war tintenschwarz um sie herum, nur ein seltsamer, widerlich fäulnishaft aufglimmender Schimmer schien am Rande ihres Blickfeldes zu erscheinen und wieder zu verschwinden. Dann erlosch auch diese Erscheinung, und sie fiel eine Ewigkeit lang in lichtloser Schwärze tiefer und tiefer, wirbelnd und taumelnd, gezerrt von den unbarmherzigen Wellen, bis ein schmerzhaft harter Aufprall ihr alle Luft aus den Lungen presste und sie gnädigerweise ohnmächtig werden ließ.

    Als sie aus der Bewusstlosigkeit erwachte, lag ihr schmerzender Kopf im Schoß einer Frau. Eine sanfte Hand strich über ihre Stirn. Ihr war sterbensübel, und sobald sie versuchte, den Kopf zu heben, begann sich das Zimmer um sie zu drehen. Sie stöhnte auf und sank wieder zurück. Kräftige Hände hoben sie behutsam auf und trugen sie auf ein weiches Lager. Ida öffnete die Augen einen Spalt breit und sah die zerbrochene Kristallschale, deren Scherben in einer ölig schwarzen Lache auf dem Boden schwammen.
    Sie wollte etwas fragen, aber als sie den Mund öffnete, würgte sie wieder die vorherige Übelkeit. Sie übergab sich heftig und schmerzhaft, bis nur noch die bittere Galle kam. Ihre Tante wischte ihr das Gesicht mit einem feuchten Tuch und gab ihr zu trinken. Das Wasser schmeckte ebenfalls so bitter, dass es ihr alle Eingeweide zusammenzog, aber danach verflog das grässliche Unwohlsein.
    »Mein armes Kind«, sagte Ylenia beinahe hilflos. »Ich verstehe nicht, wie das geschehen konnte. Kannst du mir verzeihen?« Sie streichelte über Idas Hand, die schlaff auf dem Laken ruhte. Ida wandte den Kopf, der inzwischen auf die doppelte Größe angeschwollen zu sein schien, und richtete mühsam ihren verschwimmenden Blick auf die Hexe.
    »Wieso ...« Sie bemühte sich, ihre wie kleine Fische nach allen Seiten davonschießenden Gedanken auf eine Frage zu konzentrieren. »Was ... was ist geschehen?«
    Ylenia rieb über Idas kalte Finger und schwieg. »Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich beschämt. »Man sagt von mir, ich sei eine der mächtigsten Hexen dieser Zeit, aber dennoch weiß ich nicht, warum das passiert ist. Du gibst mir das größte Rätsel auf, das mir je ein lebendes oder totes Wesen aufgegeben hat.« Sie versuchte ein Lächeln, und Ida blinzelte erschöpft zur Antwort. »Schlaf jetzt, Kind«, sagte Ylenia und legte ihre kühle Hand über Idas Augen. »Schlaf dich
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