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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition)
Autoren: Martin Walser
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Ellbogen in der Decke. Erst als der Nachtarzt kam und ihm eine Spritze geben wollte, die er ablehnte, wurde er ruhiger. Als Gundi dann eintraf, mittags, habe er ihr, was er getan hatte, gestanden, verzweifelt gestanden, in einer grellen Depression gestanden, weil er sich jetzt nicht mehr auf sich verlassen könne. Dabei habe er sich so an den Kopf gegriffen, als wolle er sagen, er fürchte um seinen Verstand.
    Karl sagte: Das ist so furchtbar. Mehr konnte er nicht sagen.
    Gundi sagte: Genau das ist es. Und eben deshalb müsse man noch froh sein, daß Diego den Vertrag unterschriftsfertig gemacht und selber noch unterschrieben habe.
    In ihrem Arbeitszimmer hatte Gundi alles zur Unterschrift vorbereitet. Karl tat, was sie mit winzigen Handbewegungen empfahl, nahm vor ihrem Schreibtisch Platz, sie schob ihm die Papiere auf der dunkelblauen Glasplatte hin, kam herüber, stand neben ihm, stützte sich mit einer Hand auf seine linke Schulter und zeigte überallhin, wo er unterschreiben sollte. Dazu reichte sie ihm einen Füllhalter. Er war vor fünfzehn Jahren, als Lambert und Gundi geheiratet hatten, Trauzeuge gewesen, der Standesbeamte hatte ihm einen Füller gereicht, mit dem er dann die Urkunde unterschrieb. Seitdem hatte er kein so feierliches Schreibgerät mehr in der Hand gehabt. Er bemühte sich, Gundi zu zeigen, daß er nicht durchlese, was er unterschrieb. Diego war ihm so nahe wie er sich selber. Besonders in diesem Augenblick. Ohne es zu wollen, nahm er noch wahr, daß das, was er unterschrieb, ein Auflösungsvertrag und eine Vollmacht war. Für den Notar, sagte er, stehe er zur Verfügung.
    Gundi überreichte ihm ein Kuvert. Der Scheck, sagte sie. Eins Komma zwei Millionen. Da Diego sechs Millionen verlangt und kriegt, beläuft sich der Zwanzigprozentanteil von Karl auf eins Komma zwei Millionen.
    Sie sah Karl so an, daß er jetzt sagen mußte, ja, zweihunderttausend habe er eingebracht.
    Diego viermal soviel, sagte sie.
    Ja, sagte Karl, Diego wollte immer viermal so hoch drin sein wie ich.
    Darum, sagte sie, jetzt vier Komma acht von sechs für ihn.
    Karl sagte: Es gibt schwächere Renditen.
    Komm, sagte sie und ging voraus. In die Bar.
    Ihr Parterre schwamm im blauen Dämmer, die Bar in Orange. Karl trank sofort mehrere Schnäpse hintereinander. Quitten. Das war Diegos Entdeckung. Flaschen, die so bucklig und unsymmetrisch waren, als kämen sie aus dem abgelegensten Schottland. Gundi trank nicht einmal das erste Gläschen ganz aus.
    Karl sagte, er kenne immer noch keinen Schnaps, der sich mit diesem Quittenschnaps messen könne. Jedesmal, wenn er hier davon getrunken habe, habe er sich aufschreiben wollen, wo’s den gebe.
    Gundi sagte, sie werde ihm den Lieferanten nennen.
    Karl merkte, daß es ihm nicht gelang, diesen Quittenschnaps gebührend zu rühmen. Er wollte nichts mehr von Geschäften wissen. Er habe sich angewöhnt, neben sich her zu leben. Das war doch ein Satz, der von einem Gast in Gundis Fernsehsalon hätte gesagt werden können, und dann hätte Gundi zu dem Gast gleichzeitig lieb und ernst hingeschaut und hätte gefragt: Fühlen Sie sich wohl dabei? Auf jeden Fall wäre ein solcher Satz ein Einfallstor gewesen für sie. Nichts davon jetzt. Das ärgerte Karl. Ein bißchen Interesse für ihn, Gundula Powolny! Er interessierte sich für Gundi. Das spürte er. Ihre Haare waren durch die Jahre hindurch gleich dunkel geblieben. Kastanienbraun mit einem Hauch Rot. Am Telefon sprach Gundi ihren Namen immer so aus, daß das -i- gleichzeitig betont und verkürzt wurde. Es schnellte förmlich weg vom -d-. Schwarze Witwe. Wahrscheinlich war sie das bald. O Diego. Seit er ihn da liegen gesehen hatte, fühlte er sich ihm wieder so nah wie vor fünfzehn Jahren. Diego und er waren jetzt nicht mehr so befreundet, wie sie es gewesen waren. Immer seltener telefonierten sie. Karl fand, daß Diego anrufen müßte. Es war Diego, der ihn nicht mehr so brauchte. Allenfalls noch für Trautmann Titan . Diego hatte viel mehr Freunde, als Karl je gehabt hatte. Er hielt es für möglich, daß Gundi auch die Freunde bestimmte, wie sie die Möbel und die Urlaubsorte und die Automarken und Diegos Kleider bestimmte. Sie hatte Diego die Krawatten abgewöhnt. Fast verboten. Im Theater traf man Diego ohne Krawatte. Es sah grotesk aus, fand Karl. Aber Diego fand das offenbar nicht. In die Oper durfte Karl nicht mehr, weil es die ebenso zarte wie eigensinnige Helen nervös machte, wenn sie die gesungenen Texte nicht verstand. Und
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