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Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)

Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)

Titel: Angela Merkel – Die Zauder-Künstlerin (German Edition)
Autoren: Nikolaus Blome
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denkt und wie das mit dem damals schon heftig rudernden Karl-Theodor zu Guttenberg weitergehen würde. Auf dem Rückflug also kommt kurz auch zur Sprache, dass sich die damalige Linkspartei-Chefin Gesine Lötsch in einem Aufsatz dazu bekannt hat, ihre Partei suche weiterhin nach »Wegen zum Kommunismus«. Und dann legt Merkel los, man staunt: Sie liefert einen ebenso schlüssigen wie weit ausholenden Exkurs über Marx und Engels, über sozialistische Dialektik, den kleinen Kommunismus-Katechismus der FDJ und der SED . Wohl keiner der Mitreisenden hatte davon je so ausführlich, so lebendig gehört. Auch Merkels Motivforschung: Es gehe für Frau Lötsch nicht um Stalin-Verehrung, nein bewahre. Der Grund sei, dass sie in der DDR in die Schule gegangen ist. Folgte ein weiterer Exkurs über DDR -Schulausbildung und wie der Kommunismus und seine Dialektik dort gelehrt wurden, in drei verschiedenen Fächern oder Gruppen: »Die mit den schlechtesten Mathe-Noten nahmen wissenschaftlichen Kommunismus.« Heißt für Merkel: die Deppen, die man allein wegen ihrer schlechten Mathe-Noten getrost verachten durfte, sogar in der DDR . Bei Angela Merkel sind nur wenige Witze ohne doppelten Boden.
    Oder auf einer der vielen Reisen nach Washington, Ende Juni 2009: Da zog sie ohne rechte Vorwarnung, aber mit dem konkreten Hintergrund der Debatte um Hartz IV und Guido Westerwelles Satz von der »spätrömischen Dekadenz« einen Aufsatz von Ralf Dahrendorf aus der schwarzen Handtasche. Über die Ethik des Verzichts, über den Wandel vom Spar- zum Pumpkapitalismus, einen Text, über den sie offenkundig lange nachgedacht und mit Vertrauten geredet hat. Merkel lieferte ein bündiges Zehn-Minuten-Referat über den Dahrendorf-Text, folgte dessen Gedanken in mehrere tiefe Verästelungen. Und alle, man muss das sagen, alle mitreisenden Journalisten waren beeindruckt, besonders der Kollege der ZEIT , der schon von Amts wegen alle Dahrendorf-Aufsätze kennen muss.
    Angela Merkel lässt sich aber auch selbst überraschen. Sie kann herrlich baff sein – und dann auch so reden. Im April 2010 gerät die Kanzler-Maschine in die Turbulenzen des isländischen Vulkans, dessen Ausbruch den internationalen Flugverkehr kollabieren lässt und zu dem wirklich außergewöhnlichen Umstand führt, dass eine Bundeskanzlerin ihren Regierungs-Airbus besteigt, ohne zu wissen, wo er landen wird. Ein Land nach dem anderen in Europa schließt gerade seinen Luftraum wegen der Aschewolke. Und Merkel sagt im Flieger wie ein staunendes Kind: »Das hat die Welt noch nicht gesehen.« Dann allerdings legt sie sich früh schlafen. Auch typisch Merkel.
    Auf dieser Reise war sie sogar richtig fürsorglich, fast wie die oben erwähnte Klassenlehrerin. Der Irrflug der Kanzlermaschine landete nämlich zunächst in Lissabon, dann ging es tags drauf weiter nach Rom, weiter auf der Suche nach einem aschefreien Luftweg bis Berlin. Als das hoffnungslos bleibt, geht es auf der Straße bis ins norditalienische Bozen (auf der Strecke platzt beim Journalisten-Bus auch noch ein Reifen). Schon in Lissabon hätte die Kanzlerin allein weiterreisen können, da wäre sie vermutlich schneller gewesen, und alle Zurückbleibenden hätten es wohl verstehen müssen. Angela Merkel sagte aber: »Wir machen keine dramatischen Sachen, und wir bleiben alle zusammen.« Das hieß konkret: Niemand musste sich um Ausweichflüge bemühen, um ein Hotelbett oder sonst etwas. Man blieb im Tross, und alles war unendlich viel leichter. Deshalb muss man als Journalist Merkels Integrations-Politik nicht gut finden, manches Gezaudere bei der Griechenland-Hilfe oder den schwarz-gelben Dauerknatsch bis ins Wahljahr 2013. Aber angenehm und fast fürsorglich war es doch, und diese Charakterzüge erkennt man an den Menschen ja meistens dann, wenn sie etwas tun, was sie nicht unbedingt tun müssten. Zum Schluss, als man sich wirklich trennte und die Kanzlerin in Süddeutschland einen Helikopter bestieg, sagte sie zum Abschied: »Tschüs. War schön. Muss ich aber nicht gleich wieder haben.« Merkels Spitzname in CDU / CSU war früher »Oberschwester«. Heute heißt sie bei den meisten »Mutti«.
    Das alles erzählt etwas, wie Angela Merkel so aus der Nähe ist – wenn man sie als Journalist immer wieder auf Auslandsreisen begleitet. Wie sie mit ihren engsten Mitarbeitern menschlich umgeht, erfährt man, wenn überhaupt, dagegen nur aus dritter Hand: Weil Merkel und die besagten engsten Mitarbeiter darüber so gut wie nicht
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