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anderbookz Short Story Compilation

anderbookz Short Story Compilation

Titel: anderbookz Short Story Compilation
Autoren: Thomas M. Disch , Doris Egan , Gardner Dozois , Jack Dann , Michael Swanwick , Tanith Lee , Howard Waldrop , Katherine V. Forrest
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das, was hinter ihrer offenkundigen Unaufmerksamkeit stand. Er gedachte ihrer Bedürfnisse, unterdrückte den Impuls, noch mehr von sich zu erzählen, lehnte sich zurück und gab sein Bestes, den Eindruck eines guten Zuhörers zu machen. Und sonst nichts.
    Als Columbine endlich die ganze Skala ihrer Empfindungen vor ihm ausgebreitet hatte - Furcht, Ärger, Freude, Schmerz und ein ständiges, irrationales Gefühl des Grauens -, dankte sie ihm. Sie gab ihm ihre Adresse und Telefonnummer und sagte ihm, er solle sich im Januar mit ihr wegen des Gutachtens in Verbindung setzen.
    Jubel! dachte er. Spitze! Hallelujah!
    Doch noch nicht ganz, er mußte noch ein weiteres Gutachten bekommen. Aber das Ziel war in greifbare Nähe gerückt, ja schien unvermeidlich. Es galt jetzt nur noch, sich ein weiteres Mal zusammenzureißen, um den Preis für seine Mühen entgegennehmen zu können.

    Die Glücksgöttin war Barry so hold, daß er sein drittes Gutachten (streng genommen ja erst das zweite) schon am nächsten Abend bekam. Die schicksalshafte Begegnung fand in ›Morone’s One-Stop Shopping‹ statt, einem Tante-Emma-Laden auf der Sixth Avenue direkt neben dem ›Internationalen Supermarkt‹. Obwohl bei Morone’s die meisten Artikel teurer waren, zog Barry es vor, dort einzukaufen; denn das Angebot hier (Aufschnitt, Konserven, Bier und Nabisco-Plätzchen) war so begrenzt, daß er sich an der Kasse niemals eingeschüchtert fühlen oder sich schämen mußte. Er haßte es, zu kochen, aber war das ein Grund, sich minderwertig zu fühlen? Morone’s war für Leute wie Barry zum Einkauf wie geschaffen. Und Barrys gab es viele.
    An diesem Abend schwankte Barry zwischen zwei Fertiggerichten, Frühstücksfleisch mit Chef-Boyardee-Ravioli und Frühstücksfleisch mit Green-Giant-Kornschrot. Die Frau, die vor der Tiefkühltruhe stand, begann plötzlich zu sich selbst zu reden. Die Morones sahen sich erschreckt an. Keiner von ihnen hatte eine Sprechlizenz. Das war ein weiterer Anziehungspunkt dieses Geschäfts, da man mit ihnen nicht mehr Worte zu wechseln brauchte als solche zulässigen Basissätze wie »Wie geht es Ihnen?«, »Machen Sie es gut!« und Preisangaben.
    Was die Frau sagte, deutete darauf hin, daß sie gerade im Moment verrückt geworden war. »Der Schmerz«, erklärte sie ruhig der Eiskrem-Sektion in der Kühltruhe, »kommt nur, wenn ich so mache.« Sie beugte sich noch mehr über das Eiskremsortiment und zuckte zusammen. »Dann ist es die reine Hölle. Ich will mir das Bein abschneiden, mich am Gehirn operieren lassen, alles, nur damit der Schmerz aufhört. Aber ich weiß, daß der Schmerz nicht vom Bein kommt. Es ist der Rücken. Hier.« Sie berührte ihr Kreuz. »Eine Art Hexenschuß. Noch schlimmer als beim Vorbeugen ist es, wenn ich mich zur Seite drehe. Sogar wenn ich den Kopf bewege, kann es anfangen. Manchmal, wenn ich allein bin, fange ich bei dem Gedanken an zu weinen, daß ich so verdammt hilflos bin.« Sie seufzte. »Nun, das kann jeden treffen, und ich glaube, es könnte schlimmer sein. Es bringt nichts, nur zu jammern. Das Leben geht weiter, sagt man.«
    Nachdem sie sich diese fatalistische Erkenntnis zu eigen gemacht hatte, drehte sie sich um und blickte in die Runde, um die Wirkung ihres Ausbruchs bei den Morones und bei Barry zu sehen. Aber während die Kaufleute angestrengt wegsahen, konnte Barry der Versuchung nicht widerstehen, den Blick zu erwidern. Der Ausdruck ihrer Augen widersprach deutlich dem Monolog, den sie gerade losgelassen hatte. Es waren durchbohrende (und ganz und gar nicht verwundbare) stahlgraue Augen, die herausfordernd aus einem Gesicht blickten, das kraftlos und voller Runzeln war. Ohne die offen dazu im Widerspruch stehenden Augen hätte das Gesicht hoffnungslos und verbraucht ausgesehen. Mit ihnen wirkte sie wie ein antiker Centurio in einem Film über das römische Imperium.
    Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Kein Grund zur Aufregung. Es war kein Notfall. Ich habe eine Lizenz.«
    Barry bot sein harmlosestes Lächeln an: »Das habe ich wirklich nicht für das Problem gehalten.«
    Sie lächelte nicht zurück. »Was denn?«
    »Nun, Sie taten mir leid.«
    Ihre Reaktion darauf war ein beängstigendes Lachen.
    Er fühlte sich betrogen und beschissen, griff sich die nächstbeste Gemüsekonserve (sie enthielt Runkelrüben, wie er später feststellte, und er haßte Runkelrüben) und reichte sie zusammen mit der Dose Frühstücksfleisch Mr. Morone.
    »Wär’s das?« fragte Mr.
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