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Amerika

Amerika

Titel: Amerika
Autoren: Franz Kafka
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nach seinem Namen fragte. Er antwortete nicht gleich, er hatte eine Scheu, seinen wirklichen Namen zu nennen und aufschreiben zu lassen. Sobald er hier auch nur die kleinste Stelle erhalten und zur Zufriedenheit ausfüllen würde, dann mochte man seinen Namen erfahren, jetzt aber nicht; allzulange hatte er ihn verschwiegen, als daß er ihn jetzt hätte verraten sollen. Er nannte daher, da ihm im Augenblick kein anderer Name einfiel, den Rufnamen aus seinen letzten Stellungen:
    »Negro.«
    »Negro?« fragte der Leiter, drehte den Kopf und machte eine Grimasse, als hätte Karl jetzt den Höhepunkt der
    Unglaubwürdigkeit erreicht. Auch der Schreiber sah Karl eine Weile lang prüfend an, dann aber wiederholte er »Negro« und schrieb den Namen ein.
    »Sie haben doch nicht Negro aufgeschrieben?« fuhr ihn der Leiter an.
    »Ja, Negro«, sagte der Schreiber ruhig und machte eine
    Handbewegung, als habe nun der Leiter das Weitere zu
    veranlassen. Der Leiter bezwang sich auch, stand auf und sagte:
    »Sie sind also für das Theater von Oklahoma-«, aber weiter kam er nicht, er konnte nichts gegen sein Gewissen tun, setzte sich und sagte: »Er heißt nicht Negro.«
    Der Schreiber zog die Augenbrauen in die Höhe, stand nun
    selbst auf und sagte: »Dann teile also ich Ihnen mit, daß Sie für das Theater in Oklahoma aufgenommen sind und daß man Sie
    jetzt unserem Führer vorstellen wird.«
    Wieder wurde ein Diener gerufen, der Karl zur
    Schiedsrichtertribüne führte.
    Unten an der Treppe sah Karl den Kinderwagen, und gerade
    kam auch das Ehepaar herunter, die Frau mit dem Kind auf dem Arm.
    »Sind Sie aufgenommen?« fragte der Mann, er war viel
    lebhafter als früher, auch die Frau sah ihm lachend über die Schulter. Als Karl antwortete, eben sei er aufgenommen worden und gebe zur Vorstellung, sagte der Mann: »Dann gratuliere ich.
    Auch wir sind aufgenommen worden. Es scheint ein gutes
    Unternehmen zu sein, allerdings kann man sich nicht gleich in alles einfinden, so ist es aber überall.« Sie sagten einander noch
    »Auf Wiedersehen«, und Karl stieg zur Tribüne hinauf. Er ging langsam, denn der kleine Raum oben schien von Leuten überfüllt zu sein, und er wollte sich nicht eindrängen. Er blieb sogar stehen und überblickte das große Rennfeld, das auf allen Seiten bis an ferne Wälder reichte. Ihn erfaßte die Lust, einmal ein Pferderennen zu sehen, er hatte in Amerika noch keine
    Gelegenheit dazu gefunden. In Europa war er einmal als kleines Kind zu einem Rennen mitgenommen worden, konnte sich aber an nichts anderes erinnern, als daß er von der Mutter zwischen vielen Menschen, die nicht auseinanderweichen wollten,
    durchgezogen worden war. Er hatte also eigentlich überhaupt noch kein Rennen gesehen. Hinter ihm fing eine Maschinerie zu schnarren an, er drehte sich um und sah auf dem Apparat, auf dem beim Rennen die Namen der Sieger veröffentlicht werden, jetzt folgende Aufschrift in die Höhe ziehen: »Kaufmann Kalla mit Frau und Kind«. Hier wurden also die Namen der
    Aufgenommenen den Kanzleien mitgeteilt.
    Gerade liefen einige Herren, lebhaft miteinander sprechend, Bleistifte und Notizblätter in den Händen, die Treppe hinunter, Karl drückte sich ans Geländer, um sie vorbeizulassen, und stieg, da nun oben Platz geworden war, hinauf. In einer Ecke der mit Holzgeländern versehenen Plattform – das Ganze sah wie das flache Dach eines schmalen Turmes aus – saß, die Arme entlang des Holzgeländers ausgestreckt, ein Herr, dem ein breites weißes Seidenband mit der Aufschrift: »Führer der zehnten Werbetruppe des Theaters von Oklahoma« quer über die Brust hing. Neben ihm stand auf einem Tischchen ein gewiß auch bei den Rennen verwendeter telephonischer Apparat, durch den der Führer offenbar alle notwendigen Angaben über die einzelnen Bewerber noch vor der Vorstellung erfuhr, denn er stellte Karl zunächst gar keine Fragen, sondern sagte zu einem Herrn, der mit gekreuzten Beinen, die Hand am Kinn, neben ihm lehnte:
    »Negro, ein europäischer Mittelschüler.« Und als sei damit der sich tief verneigende Karl für ihn erledigt, sah er die Treppe hinunter, ob nicht wieder jemand käme. Aber da niemand kam, hörte er manchmal dem Gespräch, das der andere Herr mit Karl führte, zu, blickte aber meistens über das Rennfeld hin und klopfte mit den Fingern auf das Geländer. Diese zarten und doch kräftigen, langen und schnell bewegten Finger lenkten zeitweilig Karls Aufmerksamkeit auf sich, obwohl ihn der andere
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