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Als die Roemer frech geworden

Titel: Als die Roemer frech geworden
Autoren: Boris Dreyer
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    Kaum, dass diese [Dekrete] durchgebracht waren, kam auch eine furchtbare Nachricht aus Germanien, die sie davon abhielt, die
     Festveranstaltungen abzuhalten. Ich möchte deshalb die folgenden Ereignisse, die sich zu dieser Zeit in Germanien zutrugen,
     referieren. Die Römer hielten Teile davon, die nicht zusammenhängend waren, sondern vielmehr wie sie sie gerade zufällig unterworfen
     hatten. Deswegen war auch nichts davon wert eines Erinnerungsberichts. Und Soldaten von diesen [Römern] überwinterten dort,
     und Städte [griech.
poleis !
] wurden gegründet. Und die Barbaren glichen sich ihrer Lebenswelt an, sie gewöhnten sich an Märkte und hielten friedliche
     Versammlungen ab. Sie hatten aber keineswegs ihre alten Sitten, die eingeborene Lebensweise, die autonome Lebensführung |37| und die Möglichkeit des Waffengebrauchs vergessen. Und deswegen, solange sie in kleinen Schritten und bei Wege unter Anleitung
     darin umlernten, wurden sie nicht durch die Veränderung der Lebensführung aufgebracht und veränderten sich, ohne dass sie
     es merkten. 2
    Die Belege und Berichte über die Herrschaft der Römer im rechtsrheinischen Germanien sind also spärlich, weil undramatisch.
     Darüber hinaus hat unser Gewährsmann für die römischen Herrschaftsprinzipien zwei Jahrhunderte später geschrieben. Für manche
     galt und gilt er heute gar als unzuverlässig. Daher haben sich über die römische Herrschaft auf der Basis dieses Textes die
     unterschiedlichsten Theorien und Auffassungen ausgebildet.
    Dazu zählte auch die extreme Ansicht, dass es eine römische Herrschaft zwischen Rhein und Elbe nie gegeben habe – von einigen
     ausgedehnten Brückenköpfen an Lippe und Wetterau abgesehen. Mithin sei Arminius auch kein Retter Germaniens gewesen, als er
     sich gegen Varus erhob und gegen Germanicus Widerstand leistete – obwohl der römische Historiker Tacitus dies behauptete. 3 Germanicus’ Ziel habe sich dagegen in der Stützung der alten Brückenköpfe der Zeit vor 9 n. Chr. und in der Schaffung eines
     Glacisbereichs erschöpft. Der Wille zur Schaffung eines Herrschaftsraums bis zur Elbe habe nie existiert.
    Glacispolitik
    Mit der Glacispolitik strebte man die Vorfeldkontrolle im Bereich jenseits der direkt durch Rom politisch und militärisch
     besetzten Gebiete an. Diese Politik löste seit 16 n.Chr. alle Expansionsabsichten bis zur Elbe ab. Seither hat man versucht,
     die innergermanischen Streitigkeiten im rechtsrheinischen Gebiet anzufachen und dadurch einen militärischen Druck auf den
     Rhein und Plünderungszüge in römisch kontrollierte Gebiete links des Rheins zu verhindern. Demselben Ziel diente auch die
     Blockierung von Ansiedlungen bzw. die Schaffung eines Klientelgürtels (von abhängigen Sippen/Stämmen) direkt am rechtsrheinischen
     Ufer.
    |38| Deutlich wird jedoch der römische Herrschaftsanspruch für die rechtsrheinischen Gebiete allein schon durch die Aufstellung
     der Tropaia, der Siegesdenkmäler, an der Elbe formuliert. Unser Gewährsmann Cassius Dio liefert aber darüber hinaus die Grundlage
     für eine andere Ansicht über die römischen Herrschaftsprinzipien, die sich durch verstreute Nachrichten und archäologische
     Neufunde untermauern lässt: Danach nahm die römische Herrschaftspolitik Rücksicht auf die spezifischen infrastrukturellen
     und politischen Bedingungen im rechtsrheinischen Gebiet. Sie waren somit eine Antwort auf die Warnungen Caesars vor einem
     dauerhaften Ausgreifen in den rechtsrheinischen Raum.
    In Germanien gab es keine feste Städtestruktur
( oppida
) oder fest institutionalisierte überregionale soziale, religiöse und politische Strukturen. Ohne diese festen Strukturen
     und auf der Basis eines frühneuzeitlichen „Verkehrsnetzes“ konnte Herrschaft kaum greifen. Es boten sich für die erobernden
     Römer kaum Möglichkeiten, dauerhafte Rechtsverhältnisse zu begründen.
    Daher kontrollierten die Römer nach der Unterwerfung der Germanenstämme den rechtsrheinischen Bereich nicht flächendeckend,
     sondern nur entlang den genannten Einfallstraßen von Lippe, Main und Wetterau mit kleineren Lagern, die archäologisch gut
     belegt sind (Haltern, Anreppen) und von einem System zeugen, zumal die Entfernungen zwischen den Lagern etwa der Tagesmarschleistung
     eines Heeres (ca. 18 km) entsprechen.
    Aber die Herrschaft wirkte nicht nur dort, vielmehr bildete diese „Zone“ der direkten Herrschaft nur die Spitze eines abgestuften
    
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