Alptraum-Sommer
konnte ich mir nicht geben, weil ich es einfach nicht schaffte, mich aufzurichten.
Ich wollte aber aufstehen, verdammt!
Meine Arme lagen rechts und links des Körpers, als wäre ich wie ein Toter zurechtgelegt worden. Still, ruhig, und ich konzentrierte mich auf meinen rechten Arm.
Ja, ich konnte ihn heben.
Auch wenn er schwer war. Aber das Blut war nicht durch flüssiges Eisen ausgetauscht worden. Ich kam wieder zurecht, und meine Hand fand sogar Halt.
Mit der Innenfläche streifte ich über etwas hinweg. Es war relativ dünn, nicht dicker als ein Finger. Ich berührte es, wollte die Hand wieder zurückziehen – und blieb daran hängen.
Ein zweiter Versuch.
Wieder nichts.
Noch blieb ich still liegen, weil ich einfach nicht überriß, was mit mir geschehen war. Etwas hatte sich in meiner unmittelbaren Umgebung verändert, und ich bekam meine Hand nicht mehr los.
Warum nicht, verdammt?
Ich versuchte es noch einmal und setzte auch mehr Kraft ein. Es war nicht möglich. Zwar gab dieses Hindernis nach, aber meine Hand hielt es nach wie vor fest.
Ein klebriges Band mußte da gespannt worden sein. Das wollte ich, verdammt noch mal, nicht hinnehmen, deshalb wollte ich mich aufrichten.
Es blieb beim Versuch.
Das heißt, um eine Kleinigkeit kam ich doch hoch. Dann schnellte ich wieder zurück, weil ich auch an der Brust gefesselt war.
Deshalb dieser Druck, dieser verdammte Alp, der mich so stark gequält hatte.
Warum, wieso?
»Du bist ganz ruhig, Sinclair, ganz ruhig…«
Eine wispernde Stimme, die sich anhörte wie leises Blätterrauschen, erreichte meine Ohren. Nicht Suko hatte gesprochen, sondern einer, der mir im Moment unbekannt war. Als ich länger darüber nachdachte, erinnerte ich mich an die Stimme.
War er das?
Ja, das mußte er sein.
Alles, worüber ich bisher nur theoretisiert und spekuliert hatte, war nun zur Wahrheit geworden.
Mit mir sprach Mandragoro, der Umwelt-Dämon!
»Hörst du mich, Sinclair?« wisperte er.
»Ja – ist schon okay.«
»Wunderbar…«
Meine Anspannung lockerte sich. Ich wußte, daß er meinen Tod nicht wollte. Irgendwo standen wir beide auf derselben Seite. Nur die Mittel, die wir einsetzten, waren verschieden. Ich war sehr gespannt, was er von mir wollte. Eine Warnung hatte er mir schon geschickt. Aber die lebende Alraune hatte wohl nicht gereicht.
Meine Hand klebte auch weiterhin an diesem Faden fest. Sehr deutlich bekam ich das leichte Zittern mit, wußte aber nicht, wie ich es einordnen sollte. Ferner war mir völlig unbekannt, wogegen ich die Hand gepreßt hielt. Es war keine Stange aus Metall. Glasfiber auch nicht, das hier war ein Material, das ich nicht kannte.
Mein Herz schlug noch immer sehr schnell. Die Luft war feucht und dumpf, sie drang in Schwaden durch den Spalt am offenen Fenster. Als wäre das Boot von einer riesigen Nebelglocke gefangen worden.
Zwar wurde ich von dieser ungewöhnlichen Brustfessel gehalten, den Kopf konnte ich noch drehen, verrenkte mir die Augen und schielte dem Fenster entgegen.
War etwas zu sehen?
Nebel, mehr nicht.
Und ein Schatten. Ein Umriß, sehr düster, zitternd, leicht wabernd, aber im Zentrum heller. Ich hatte etwas gesehen, dessen Gestalt ich nicht begriff. Ich wußte nur, daß Mandragoro eingegriffen hatte, und ich kannte auch die Stärken des Umwelt-Dämons, dem die Natur zu gehorchen schien.
Ich hatte ihn als pflanzliches Etwas erlebt, als Riesenblüte, aber auch als weit verzweigtes lebendiges Wurzelwerk. Er war im Prinzip ein Geist, der sich trotz allem in die Natur einfügen konnte wie das letzte Stück in einem Puzzle.
Die Fesseln blieben. Meine Handfläche, die den dehnbaren Stab berührte, juckte. Ich dachte an die Elastizität, und dabei kam mir etwas in den Sinn, das ich in eine Verbindung zu Mandragoro brachte.
Konnte es sein, daß er mich mit irgendwelchen Pflanzenfasern gefesselt hatte? Umschlangen mich lianenartige Gewächse, die nur ihm gehorchten? Es wäre eine Möglichkeit gewesen. Je länger ich über sie nachdachte, um so konkreter wurde sie für mich.
Ja, das mußte es sein!
Mandragoro hatte sich in den letzten Minuten still verhalten. Auch der Dunst hatte sich nicht mehr verdichtet. Es war beinahe wie die Ruhe vor dem Sturm.
Wieder begann es mit einem leisen Zischen. Dann die Stimme.
Rauschend und wispernd zugleich. »Ich habe dir bewußt Zeit gegeben, John Sinclair, um dich ans Nachdenken zu bringen. Es ist nicht gut für dich, wenn du hier meine Kreise störst. Die Menschen haben
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