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Allmen und die Dahlien (German Edition)

Allmen und die Dahlien (German Edition)

Titel: Allmen und die Dahlien (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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an zu laufen. Er trug einen von Allmens umgeänderten Maßanzügen und wusste nicht, was der Regen bei dem Kaschmir anrichten würde.
    Als er das Gärtnerhaus erreichte, klebten die Rhododendronblüten bereits auf dem Plattenweg.
    5
    María Moreno hatte den Tee für Señor John gemacht und wartete auf Carlos. Sie hätte nichts dabei gefunden, ihn ihm selbst ans Bett zu bringen, aber Carlos wollte das nicht. Er war ein wenig prüde. Schlief nur mit ihr, wenn der Patrón nicht zu Hause war, und wenn er sich einmal zu einer Ausnahme verführen ließ, hielt er ihr den Mund zu, wenn sie ein wenig laut wurde. Als wüsste Señor John nicht, was zwei Erwachsene tun, die im selben Bett schlafen.
    Sie fand überhaupt, dass Carlos es übertrieb, was die Ehrerbietung gegenüber seinem Chef betraf. Obwohl der ihm immer wieder den Lohn schuldig blieb. Obwohl er ihn Überstunden machen ließ, ohne es auch nur zu bemerken. Obwohl er, ohne sich abzumelden, nicht zum Essen erschien. Obwohl er sich Geld von ihm lieh und sich davon herumchauffieren ließ, anstatt die Tram zu nehmen. Auf seinen Don John ließ er nichts kommen.
    Sie selbst mochte ihn auch. Er war freundlich und, wenn er gerade Geld hatte, großzügig. Aber er war ein großes Kind. Und Kindern – das hatte sie in ihren vielen Jahren als niñera, als Kindermädchen reicher Leute, gelernt – sollte man nicht alles durchgehen lassen. Kinder brauchen Grenzen. Auch große.
    Sie trug das Tablett mit dem Tee aus der Küche und stellte es auf den Esstisch in dem engen Wohnzimmer. Jetzt hörte sie die ersten Tropfen. Sie fielen auf das Glasdach der großen Bibliothek, die früher ein Treibhaus war. Erst zögerlich, dann regelmäßiger, dann als immer lauter werdender Trommelwirbel.
    Sie prüfte die Standorte der Gefäße unter den üblichen Lecks, ging ins Vestibül, griff sich Allmens Seidenschirm mit Kirschholzgriff und ging Carlos entgegen.
    6
    Carlos kauerte vor seinem Patrón und rieb dessen ungarische Maßschuhe mit der geheimnisvollen Flüssigkeit ein, von der Allmen insgeheim vermutete, es handle sich um nichts als Wasser.
    Er saß auf seinem hochgedrehten Klavierstuhl, den linken Fuß auf Carlos’ schwarzer Schuhputzkiste, und blätterte in den Papieren, die Carlos ihm mit dem Tee ans Bett gebracht hatte.
    »Ganz gezielt mitten aus der Ausstellung geklaut! Was für eine Liebeserklärung!«
    » Así es, Don John«, antwortete Carlos, ohne aufzublicken, und klopfte auf die Sohle seines Kunden. Das Zeichen zum Fußwechsel.
    Allmen stellte den anderen Fuß auf die Kiste. Carlos trug die Flüssigkeit auf. Vielleicht enthält das Wasser etwas Seife, dachte Allmen.
    »Sechzig Jahre lang hält sie das Bild versteckt, und jetzt wird es ihr gestohlen. Welche Ironie des Schicksals!«
    Carlos antwortete nichts, nickte nur und klopfte für den nächsten Seitenwechsel auf die Sohle.
    »Glauben Sie, der hat das Bild persönlich gestohlen, Carlos? Oder den Diebstahl in Auftrag gegeben?«
    » A saber, Don John, wer weiß?« Carlos begann, den linken Schuh einzucremen.
    »Wie auch immer, es ist das Geschenk eines kriminellen Verehrers.«
    » Cómo no, Don John.«
    »Doch was hat eine reiche Erbin mit solchen Leuten zu schaffen, Carlos?«
    » Un novio, Don John. Liebhaber verschenken Blumen.«
    Carlos hatte jetzt beide Schuhe eingecremt und begann, mit seiner großen Bürste zu polieren. Dabei hielt er die offene Handfläche neben den Schuh und fuhr mit der Bürste darüber, als wollte er vor jedem Streich die Elastizität der Borsten prüfen.
    »Und wer hat es jetzt, sechzig Jahre später, zum zweiten Mal gestohlen? Profis, denn die Wohnung ist schwer zugänglich«, stellte Allmen fest.
    »Oder jemand, der Zugang zur vierten Etage hat«, ergänzte Carlos.
    Allmen nickte. »Oder Komplizen im Vierten hatte. Ich lasse mir eine Liste geben.«
    Carlos gab das Zeichen zum Fußwechsel. »Una sugerencia, nada más«, eine Anregung, mehr nicht.
    Allmen hatte gelernt, Carlos’ Anregungen Gehör zu schenken.
    »Eine Liste aller Hotelgäste seit dem vierten April wäre vielleicht auch interessant.«
    »Daran habe ich auch schon gedacht«, behauptete Allmen. In Wahrheit hatte er sich noch keine Gedanken über das weitere Vorgehen gemacht. In dieser ersten Phase der Ermittlungen, die traditionell mit einer Schuhputzsession begann, verließ er sich gewöhnlich auf Carlos.
    »Auch Lieferanten und Handwerker müsste man erfassen«, ergänzte Carlos.
    »Wäscherei, chemische Reinigung,
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