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Alles Sense

Alles Sense

Titel: Alles Sense
Autoren: Terry Pratchett
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doch niemand reagierte darauf. Und dann die Stille beim heutigen Mittagessen. Selbst seine sogenannten Freunde mieden ihn, obgleich er nicht einmal versuchte, sich von ihnen Geld zu leihen.
    Es war wie ein vergessener Geburtstag, nur noch schlimmer.
    Offenbar mußte er allein sterben, ohne daß sich jemand darum scherte.
    Das eine Rad des Rollstuhls stieß gegen die Tür, und der Zauberer streckte die Hand nach dem nahen Tisch mit der Zunderbüchse aus.
    Das war noch so eine Sache. Heutzutage benutzte kaum mehr jemand richtige Zunderbüchsen. Alle kauften diese stinkenden gelben Streichhölzer der Alchimisten. Windle Poons hielt überhaupt nichts davon. Feuer hatte große Bedeutung. Man sollte es nicht ganz nach Belieben und ohne die geringste Mühe entzünden können. Es verdiente mehr Respekt. Typisch für die modernen Leute: Alles mußte schnell gehen, und… Feuer, ja. Damals, in der guten alten Zeit, war es viel wärmer gewesen. Um sich von einem modernen Feuer wärmen zu lassen, mußte man fast zwischen den Flammen sitzen. Vermutlich gab es irgendeinen Zusammenhang mit dem verwendeten Holz. Ja, man benutzte das verkehrte Holz. Heutzutage war alles verkehrt. Irgendwie dünner. Und verschwommen. Ohne echtes Leben. Und die Tage wurden immer kürzer. Ähm. Jeder Tag dauerte eine Ewigkeit, aber seltsam: Wenn sie sich im Plural einander Gesellschaft leisteten, vergingen sie wie im Flug. Für einen hundertdreißig Jahre alten Zauberer existierten nur wenige Pflichten, um die er sich kümmern mußte, und Windle hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, jeweils zwei Stunden vor einer Mahlzeit am Tisch zu erscheinen – um sich die Zeit zu vertreiben.
    Endlose Tage, die sich schnell in Jahre verwandelten. Es ergab keinen Sinn. Ähm. Apropos: Heutzutage wurde alles immer sinnloser…
    Und man ließ zu, daß Kinder über die Geschicke der Universität bestimmten. In der guten alten Zeit waren die Fakultäten von richtigen Zauberern geleitet worden, von Männern, zu denen man aufblicken konnte. Doch ganz plötzlich gingen sie alle fort, und Windle sah sich mit dem herablassenden, gönnerhaften Gebaren von jungen Leuten konfrontiert – manche von ihnen hatten sogar noch ihre eigenen Zähne. Zum Beispiel der Bursche namens Ridcully. Windle erinnerte sich ganz deutlich an ihn: dünn, Segelohren, laufende Nase; während der ersten Nacht im Schlafsaal rief er immer wieder nach seiner Mutter. Nur Unfug im Kopf. Jemand hatte Windle Poons darauf hingewiesen, daß jener Ridcully inzwischen Erzkanzler der Universität geworden war. Ähm. Offenbar glaubten einige Leute, er sei verblödet.
    Wo befand sich die verdammte Zunderbüchse? Finger… In der guten alten Zeit hatten einen die Finger nie im Stich gelassen…
    Jemand zog die Decke von einer Lampe. Jemand anders drückte Windle ein Glas in die umhertastende Hand.
    »Überraschung!«
     
    Im Flur von Tods Haus steht eine große Uhr mit einem Pendel, das wie eine lange Klinge aussieht. Zeiger fehlen: Im Heim des Todes gibt es keine Zeit, nur die Gegenwart, das Jetzt. (Die einzelnen Gegenwarten wichen immer wieder neuen, aber sie wurden dadurch nicht zur Vergangenheit, nur zu einem älteren Jetzt.)
    Das Pendel dieser Uhr hätte Edgar Allan Poe dazu veranlaßt, seine berufliche Laufbahn als Autor aufzugeben und statt dessen zu versuchen, sich den Lebensunterhalt als Komiker zu verdienen. Mit leisem, rhythmischem Summen schwingt die Klinge hin und her, schneidet dünne Scheiben der Zeit vom Schinken der Ewigkeit.
    Tod stapfte an der Uhr vorbei in die Düsternis seines Arbeitszimmers. Der Diener Albert wartete mit Handtuch und Staublappen auf ihn.
    »Guten Morgen, Herr.«
    Tod nahm stumm in dem großen Sessel Platz, und Albert legte ihm das Handtuch über die kantigen Schultern.
    »Wieder ein prächtiger Tag«, sagte er im Plauderton.
    Tod schwieg.
    Albert hob das Staubtuch und zog Tods Kapuze zurück.
    ALBERT.
    »Herr?«
    Knochenfinger hoben ein kleines goldenes Gefäß.
    SIEHST DU DAS HIER?
    »Ja, Herr. Hübsch. Diese Lebensuhr habe ich nie zuvor bemerkt. Wem gehört sie?«
    MIR.
    Alberts Blick wanderte zur Seite. An der einen Ecke des Schreibtischs stand ein großes schwarzes Stundenglas – es enthielt keinen Sand.
    »Ich dachte, das sei deine Lebensuhr, Herr«, sagte er.
    DAS WAR SIE. JETZT NIMMT DIESE HIER IHREN PLATZ EIN. SIE IST EIN GESCHENK ZUR PENSIONIERUNG. VON AZRAEL HÖCHSTPERSÖNLICH.
    Albert betrachtete den Gegenstand in Tods Hand.
    »Aber… Der Sand, Herr. Er
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