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Alles Sense

Alles Sense

Titel: Alles Sense
Autoren: Terry Pratchett
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allein zu wissen, wie sie ihre Pflicht erfüllen mußte. An der Wahrnehmung gab es nichts auszusetzen. Das Verdauungssystem hingegen stellte nach wie vor ein Rätsel dar.
    Windle betrachtete sein Spiegelbild in einem silbernen Teller.
    Er sah immer noch tot aus: das Gesicht bleich, die Augen blutunterlaufen. Der Körper war ein Leichnam. Oh, er funktionierte, was jedoch nichts daran änderte, daß kein Leben mehr in ihm weilte. Wo blieben da Fairneß und Gerechtigkeit? Wurden hundertdreißig Jahre unerschütterlichen Glaubens an die Reinkarnation damit belohnt, als Leiche ins Diesseits zurückzukehren?
    Kein Wunder, daß Untote in dem allgemeinen Ruf standen, ziemlich schlecht gelaunt zu sein.
     
    Auf lange Sicht gesehen bahnte sich etwas Wundervolles an.
    Aus einer kurz- oder mittelfristigen Perspektive betrachtet, stand etwas Schreckliches bevor.
    Es ist der gleiche Unterschied wie zwischen dem wundervollen Glanz eines neuen Sterns am Winterhimmel und dem nahen Feuer der Supernova. Um ein anderes Beispiel zu nennen: Die vom Morgentau benetzten Spinnweben sehen recht hübsch aus – wenn man keine darin gefangene Fliege ist.
    Normalerweise wäre dies erst in vielen tausend Jahren geschehen.
    Aber es geschah jetzt.
    Und der Ort des Geschehens: ein Schrank im Keller eines baufälligen Hauses in den Schatten, dem verrufensten Viertel von Ankh-Morpork.
    Plop.
    Es klang so sanft wie der erste Regentropfen auf hundert Jahre alten Staub.
     
    »Vielleicht könnten wir eine schwarze Katze veranlassen, über seinen Sarg zu laufen.«
    »Er hat überhaupt keinen Sarg«, heulte der Quästor, dem es selbst unter normalen Umständen recht schwerfiel, sich an der Realität festzuklammern.
    »Na schön. Also besorgen wir ihm erst einen hübschen Sarg, und dann sorgen wir dafür, daß eine schwarze Katze darüber hinwegläuft.«
    »Unsinn. Viel besser wär’s, wenn wir ihn dazu bringen, Wasser zu lassen.«
    »Wie bitte?«
    »Wasser lassen. Untote sind dazu nicht imstande.«
    Die im Arbeitszimmer des Erzkanzlers versammelten Zauberer dachten fasziniert über diesen Vorschlag nach.
    »Im Ernst?« vergewisserte sich der Dekan.
    »Es ist eine allgemein bekannte Tatsache«, erklärte der Dozent für neue Runen.
    »Als er noch lebte, hat es ihm überhaupt keine Mühe bereitet, Wasser zu lassen«, sagte der Dekan skeptisch.
    »Aber als Toter kann er’s nicht.«
    »Nun, das ergibt einen gewissen Sinn…«
    »Fließendes Wasser!« entfuhr es dem Dozent für neue Runen. »Es muß fließendes Wasser heißen. Entschuldigung. Tote können kein fließendes Wasser überqueren.«
    »Nun, dazu bin auch ich nicht imstande«, meinte der Dekan.
    »Untoter! Untoter!« Innerlich geriet der Quästor allmählich aus den Fugen.
    »Das ist kein Grund, ihn zu verspotten«, mahnte der Dozent und klopfte dem Zitternden auf die Schulter.
    »Ich bin tatsächlich nicht dazu in der Lage«, fügte der Dekan hinzu. »Ich würde darin versinken. Im Wasser, meine ich.«
    »Untote können fließendes Wasser selbst dann nicht überqueren, wenn sie eine Brücke benutzen.«
    »Und ist er der einzige, hm?« fragte der Dozent. »Oder gibt es noch andere?«
    Die Finger des Erzkanzlers trommelten auf den Tisch.
    »Herumlaufende Tote sind unhygienisch«, stellte er fest.
    Daraufhin herrschte Stille. An diesen Aspekt hatte bisher niemand gedacht, aber es überraschte die übrigen Zauberer kaum, daß Mustrum Ridcully die Angelegenheit aus einem so speziellen Blickwinkel sah.
    Mustrum Ridcully war entweder der beste oder der schlechteste Erzkanzler in der langen Geschichte der Unsichtbaren Universität – es hing ganz davon ab, welche Maßstäbe man anlegte.
    Zunächst einmal: Es gab zuviel von ihm. Es lag nicht etwa an seiner Gestalt, sondern an einer gewaltigen Persönlichkeit, die dazu neigte, allen zur Verfügung stehenden Raum auszufüllen. Abends goß er sich ordentlich einen hinter die Binde, und damit wurde er dem charakteristischen Verhaltensmuster eines Zauberers gerecht. Doch wenn er sich in sein Zimmer zurückzog, ging er keineswegs zu Bett: Er spielte die ganze Nacht mit Wurfpfeilen, und um fünf Uhr morgens verließ er die Unsichtbare Universität, um auf Entenjagd zu gehen. Er schrie Leute an. Und er versuchte, sie aufzumuntern. Und er trug nur selten anständige Umhänge. Er hatte Frau Reineweiß, die gefürchtete Wirtschafterin der Universität, dazu überredet, ihm einen weiten, blauroten Hosenanzug zu nähen. Zweimal täglich beobachteten verwunderte
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