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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition)
Autoren: Wiebke Lorenz
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wissen.
    »Weshalb sollte ich?«
    »Weshalb?« Wieder ein Kopfschütteln, diesmal ungläubig. »Marie, du hättest dich bei mir melden sollen, ich wäre doch für dich da gewesen!« Für sie da gewesen. Wäre er das? »Ich habe erst gestern gehört, was passiert ist«, erklärt er, als wolle er sich dafür entschuldigen, dass er eben nicht da gewesen ist. »Die letzten drei Monate war ich in Australien, da habe ich nichts mitbekommen, und mir hat auch niemand davon erzählt.«
    »Dann hätte ich dich ja auch nicht anrufen können«, erwidert Marie.
    »Sicher hättest du das!«
    »Aber was hätte es genutzt, wenn du doch auf der anderen Seite der Welt warst?« Und nicht nur das, Christopher ist nicht nur auf der anderen Seite, sondern in einer völlig anderen Welt, seit mehr als zwei Jahren schon.
    »Ich wäre sofort zurück nach Deutschland geflogen.« Hätte, hätte, Fahrradkette, singen die Kinderstimmen in Maries Kopf. Christopher wirkt jetzt fast ungehalten. »Ich fasse es nicht, dass sich niemand bei mir gemeldet hat, um mir zu erzählen, was mit dir los ist!« Wieder ein leichtes Kopfschütteln, so, als könne er wirklich nicht verstehen, dass offenbar keiner auf die Idee gekommen war, ihn über Maries Verbleib zu informieren.
    Aber wer hätte das auch tun sollen? Seine Freunde? Kollegen? Seine Familie? Die waren sicher alle froh, dass Marie aus Christophers Leben verschwunden war. Vor allem nachdem es in fast allen Zeitungen gestanden hatte. Sie, eine Mörderin. Nein, mit so jemandem pflegt man keinen Umgang. Schon gar nicht in Christophers Position als erfolgreicher, weltweit gefragter Ingenieur hat er einen Ruf zu verlieren, da passt eine wahnsinnige Exfrau, die wegen Mordes in der Klapse sitzt, nicht sonderlich gut ins Bild.
    »Ich verstehe nicht, wie du hier gelandet bist!«, dringt Christophers Stimme durch den Nebel ihrer Gedanken.
    »Ist doch egal.«
    »Das ist doch nicht egal! Was ist denn bloß los mit dir?«
    Sie zuckt mit den Schultern. »Ich weiß es selbst nicht.«
    »Komm!« Er fasst nach ihrer Hand und zieht sie rüber zu dem kleinen weißen Tisch. »Setzen wir uns.« Gehorsam nimmt sie auf einem der drei Stühle Platz, Christopher setzt sich ihr gegenüber und greift sofort wieder nach ihrer Hand.
    Maries Blick wandert über ihre Finger, die nun mit seinen verschränkt sind. Orangegelbe Flecken an Zeige- und Mittelfinger beider Hände, die Nägel heruntergekaut, die Haut rissig, spröde und rau. Kein schöner Anblick, aber Christopher scheint es nicht zu stören, er bemerkt es nicht einmal, sondern hält Maries Hände mit warmem, festem Druck.
    »Bitte erzähl mir genau, was passiert ist.«
    »Ich habe einen Mann getötet«, erklärt sie und wundert sich selbst, wie teilnahmslos sie bei dieser Aussage klingt.
    »Ja, das weiß ich, ich habe seit meiner Rückkehr gestern Abend schon alle Berichte gelesen, die ich darüber im Internet finden konnte. Patrick Gerlach, den Schriftsteller.« Jetzt nickt Marie. »Du warst mit ihm zusammen, habe ich gelesen.« Wieder ein Nicken. »Warum hast du ihn umgebracht?« Sie zuckt mit den Schultern, starrt wieder auf ihre Hände.
    Sie bräuchte ein bisschen Zitronensaft, um die Nikotinflecken zu entfernen. Und Handcreme gegen die raue Haut, so etwas hat sie früher täglich benutzt, da hat sie sich sogar noch die Nägel lackiert, auch wenn sie nach einem Tag im Kindergarten häufig mit Farbe bekleckert oder vom Toben im Wald verschmutzt waren. Schlamm, fällt ihr dabei ein, das ist der letzte aktuelle Ton, die letzte Trendfarbe, an die sie sich erinnern kann. Jetzt ist es nicht mehr Schlamm, sondern Dreck. Nicht wie der aus dem Wald, dafür klebriger, widerlicher, verrauchter Dreck. Ob ihr einer von den Patienten, die die Station verlassen dürfen, eine Tube Creme und eine Feile mitbringen würde? Nein, eine Feile ist verboten, so etwas kann sie nur unter Beobachtung im Schwesternzimmer ausleihen. Aber wenigstens die Creme, die müsste doch erlaubt sein.
    Hätte sie gewusst, dass Christopher kommt, hätte sie ihn darum gebeten, ihr Creme mitzubringen. Aber er ist ja überraschend und ohne jede Vorwarnung aufgetaucht. Überhaupt sind in den vergangenen Monaten entschieden zu viele Dinge ohne jede Vorwarnung passiert.
    Gedankenverloren schüttelt Marie den Kopf, nur ganz leicht und für sich selbst. Denn das stimmt ja gar nicht, es war nicht ohne Vorwarnung passiert, in Wahrheit hatte es sogar jede Menge Warnungen gegeben. Nur hatte sie nicht gewusst, dass es
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