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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün
Autoren: David Foster Wallace
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Kleidung.
    »Hilfe«, rief der arbeitende Vertriebsrepräsentant, spürte den Hauch eines schwach erinnerten feuchten Luftzugs und sah sich in einer Pause wieder nach der Ausfahrt um, die sich hinter der schwarzen Motorhaube des Brougham und dem achtlos fallen gelassenen Sturzhelm neben dem weißen Motorroller außer Sicht schraubte, zur leeren und hellen Straße empor, die vor dem Gebäude lag, leer und hell, enteignet und autonom. Nur auf die Bedürfnisse zweier Leben ausgerichtet, rief er unter dem allen wieder und wieder um Hilfe.

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Hier und dort
Für K. Gödel
    »Ihre Fotografie schmeckt bitter. Kann sich bitte mal melden, wer mir glaubt, dass ich ihr Foto küsse? Sie wollte es nicht glauben, oder es hat sie traurig gemacht oder eher wütend, und sie hat gesagt, du hast mich nie so geküsst, wie du mein chemisch bitteres Highschoolfoto küsst, die Gründe, warum du mein Foto küsst, haben alle nur mit dir zu tun, nicht mit mir.«
    »Er hat mich eigentlich nie gern geküsst.«
    »Auf der Rückseite des Fotos stehen unter den Spuren des Doppelklebebands, mit dem ich es sorgfältig an der Wand meines Wohnheimzimmers befestigt hatte, die Worte ›Erhalten 3. Februar 1983; seitdem gehegt und gepflegt‹.«
    »Er hat mich nicht gern geküsst. Das hab ich gefühlt.«
    »Schuldig im Sinne der Anklage, dass es nicht zu meinen Junge-Mädchen-Lieblingsdingen gehört, ein echtes, lebendes Mädchen zu küssen. Das hat nichts mit Zimperlichkeit zu tun oder damit, wie irgendwer mal gesagt hat, dass man beim Küssen eigentlich an einem langen Schlauch saugt, dessen anderes Ende voller Exkremente ist. Für mich hat das eher mit Dämlichkeit zu tun. Ich komm mir dämlich vor. Das Mädchen und ich sind uns so nah; der Kuss verzerrt unsere Münder; die Nasen sind im Weg und verbiegen sich – als würden wir einander Fratzen schneiden. Damals, also mit ihr, ja, dahab ich mich schon irgendwie woanders gefühlt, als Schutz vor mir selbst. Zugegeben, das hat mit mir zu tun, nicht mit ihr. Aber wissen Sie, wenn ich nicht bei ihr war, hab ich mir ausgemalt, wann ich sie wieder küssen könnte. Ich hab ständig an sie gedacht. Alle Gedanken drehten sich um sie.«
    »Und was ist mit meinen Gedanken?«
    »Und ich gebe ebenso offen den völligen Mangel an Befangenheit zu, mit dem ich sie anderswo küssen konnte, langsam und, wie ich nur allzu schnell herausfand, auf eine Weise, die sie mochte, und sie gestand auch, dass sie das mochte, sie lügt ja nicht, sie gestand es dem Kissen über ihrem Gesicht, dank dem sie für die Leute in den Nachbarzimmern nicht zu hören war. Ich kannte sie. Ich kannte jede Kurve, Kuhle, Öffnung und Reaktion ihres Körpers, der kühl, hart, straff, schmalhüftig und leicht maskulin, aber dennoch ausgesprochen erregend war, rasch lächelte, rasch nachgab, rasch kuschelte, kraulte und klammerte. Ich konnte sie wie ein Differenzial auflösen, wie einen Motor starten. Erst als ich dann ans College musste, ›veränderten‹ sich die Dinge auf geheimnisvolle Weise.«
    »Ich hatte das Gefühl, da fehlte irgendwas.«
    »Ich küsse ihr bitteres Foto. Es ist milchig vom Küssen. Ich erkenne den Umriss meiner Lippen auf ihrem Bild. Ich lerne weiterhin von ihr, ohne dass sie das weiß.«
    »Meine Gefühle änderten sich. Es dauerte, aber ich hatte das Gefühl, da fehlte irgendwas. Er arbeitet einfach die ganze Zeit an wohlgeformten Formeln und Gedichten und ihren Regeln. Solche Sachen sind ihm wichtig. Er hat immer gesagt, ich fehl ihm, und ist dann weggeblieben. Ich bin nicht sauer, aber ich bin egoistisch, ich brauche viel Zuwendung. Durch die lange Trennung habe ich mir so meine Gedanken gemacht.«
    »Während der langen Trennung habe ich ständig an sie gedacht – aber sie sagt: ›Meine Gefühle haben sich geändert, was soll ich machen, mit Bruce kann ich nicht mehr.‹ Als würden ihre Gefühle sie beherrschen und nicht umgekehrt. Als wären ihre Gefühle außerhalb und nicht unter ihrer Kontrolle, wie ein Bus, auf den sie warten muss.«
    »Ich habe jemanden kennengelernt, mit dem ich gern zusammen bin. Jemanden von hier, am College. Ich hab ihn in Statistik kennengelernt. Wir sind echt gute Freunde geworden. Es dauerte, aber meine Gefühle änderten sich. Mit Bruce kann ich jetzt nicht mehr. Es hat nicht nur mit ihm zu tun. Auch mit mir. Die Dinge ändern sich.«
    »Das Foto ist ein Miniporträt von Sears, zu groß für jede Brieftasche, also hab ich extra eine Hülle gekauft, eine gerahmte Schutzhülle
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