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Alle Orte, die man knicken kann

Alle Orte, die man knicken kann

Titel: Alle Orte, die man knicken kann
Autoren: Dietmar Bittrich
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Weltwunder!» Tatsächlich werden Westler immer noch angestaunt und gelten als
Langnasen
, westliche Männer übrigens keineswegs als
Langschwänze,
im Gegenteil. Wechseln wir lieber zur Archäologie: «Den Peking-Menschen gab es ja bereits vor siebenhunderttausend Jahren» zeugt von tiefgreifenden Kenntnissen. Nur mit den Dynastien hapert es immer. Qin, Han, Jin, Yuan, Ming oder in anderer Reihenfolge? Man muss das nicht wissen, höchstens, dass die letzte Herrscherreihe, die Qing-Dynastie, aus der Mongolei kam. Es handelte sich, samt dem letzten Kaiser, um eine Fremdherrschaft. Den besten Einstieg in eine sorgenvoll engagierte Debatte, an der alle fachkundig teilnehmen können, eröffnen eine Erwähnung Tibets, eine Prognose der Luftverschmutzung bei fortgesetzter Motorisierung, der wachsende Energiehunger und der rüde Kapitalismus, den die Kommunistische Partei propagiert. Damit können mühelos mehrere Abende bestritten werden, die neblig-trüben Fotos im Hintergrund («Es war immer so dunstig») gehen als authentische Untermalung durch.
    Das meinen Kenner
    «Wer sich einmal von allen unverstanden fühlen möchte, ist in China genau richtig.»
    – Tiziano Terzani, Autor
     
    «Keiner meiner Landsleute wird hundert Jahre. Doch Sorgen hegt jeder für tausend. Frieden findet hier nur, wem das Unkraut durch den Schädel sprießt.»
    – Han Shan, Dichter
     
    «Sehr, sehr liebe Menschen, tolle Fans.»
    – Britney Spears, Musikerin

Seidenstraße
    V erschiedene Staaten zwischen China und Syrien behaupten, die Seidenstraße liefe durch ihre Region. Völlig verkehrt ist das nicht, denn der alte Karawanenweg hat viele Verzweigungen. Doch die Hauptroute mit den klingenden Namen wie Buchara und Samarkand hat nur ein einziges Land zum Touristenziel machen können: Usbekistan. Wer eine Reise dorthin bucht, weiß meist nicht genau, wo es liegt. Wer zurückkommt, will es nicht mehr wissen. Einige Experten orten Usbekistan in Mittelasien, andere in Zentralasien, was sich abenteuerlicher anhört. Auf jeden Fall war diese Provinz eine der vielen Teile der Sowjetunion. Im Osten folgt das Pamirgebirge, dann bald schon China. Im Süden liegt Afghanistan, im Norden Kasachstan, im Westen Turkmenistan. Klingt nach einem der trübsinnigeren Werke von Karl May und ist auch so ähnlich.
    Was man auslassen kann
    Bis man die Seidenstraße unter den Reifen spürt, hält man sie für etwas Magisches, Buntes, Pulsierendes, sinnlich Schmeichelndes, gesäumt von Kameltreibern, Schlangenbeschwörern, Märchenerzählern. Und dann ist es nur eine staubige Piste durch salzige Wüsten. Sie ist so spärlich befahren, dass die Soldaten an den Straßensperren dankbar sind für jedes Fahrzeug, das am Horizontauftaucht, selbst wenn es keine Drogen enthält. Die Trasse ist das Gegenteil von seidig. Schlaglöcher sind so eng gesät, dass sich die Lebensdauer menschlicher Bandscheiben laut Statistik pro Stunde Busfahrt um ein Jahr verkürzt. Und anders als mit Bus oder Jeep kommt man nicht voran. Und man will voran. Weil man weg will von dem Ort, den man gerade gesehen hat.
    Taschkent.  Die Hauptstadt verfügt über einen internationalen Flughafen. Deshalb kommt jeder hier an und ist von der Tourismusbehörde zur Besichtigung verdonnert. Die Zwei-Millionen-Plattenbausiedlung verfügt über eine undichte Kanalisation und vielfach angezapfte überirdische Gasleitungen. Es gibt etliche windige Plätze, auf Effekt getrimmte Perspektiven und kahle Magistralen, die für nichts anderes gebaut scheinen als für Militärparaden und das Schaulaufen vergreisender Diktatoren. Die Lehmziegelbauten der Altstadt sind erfolgreich abgetragen worden. Geblieben sind zwei alte Moscheen und bröckelnde Medresen – das sind Internate für Koranschüler – sowie ein stalinistisches Opernhaus. Es gibt einen offiziellen Palast des Volkes und einen inoffiziellen: den zentralen Basar voll geraspeltem Gemüse, fliegenumschwärmten Lammhaxen und gezimmerten Babywiegen mit Abflussloch sowie Ösen zum Anketten der Kleinen.
    Chiwa.  Das staubige Kaff ist das Rothenburg ob der Tauber der Seidenstraße: von dicker Stadtmauer umgeben, im musealen Zustand konserviert und flächendeckend mit Touristen besetzt. Einheimische Schulklassen und pakistanische Pilgergruppen schleppen sich durch die Gassen aus Lehmziegeln, möchten Cola und wissen nicht, was sie sonst hier sollen. Bis vor 1870 war Chiwa das blühende Zentrum des mittelasiatischen Sklavenhandels. Jetzt dürfen Familienväter nur
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