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Alle Menschen werden Schwestern

Alle Menschen werden Schwestern

Titel: Alle Menschen werden Schwestern
Autoren: Luise F Pusch
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»Ergebnisse eines bundesweiten Aufrufs« zwecks Findung einer »besseren, humaneren« Bezeichnung für das Retortenbaby veröffentlicht. Der Aufruf war Anfang 1988 erfolgt und hatte mit 360 eingegangenen Vorschlägen »ein ungeahntes Echo gefunden«. Prämiiert wurde befremdlicherweise die Schöpfung eines Erlanger Germanistikprofessors: IVF-Kind. Nicht preiswürdig fand die Jury dagegen »zu positive« Eingebungen wie z.B. Wunschkind, Traum-, Sehnsuchts- oder Wonnenkind, aber auch »zu negative« wie etwa Künstling, Typenkind, Zuchtmensch oder Dekadenz-Ekel.
    Besser, humaner?? — » Was hast du gesagt ?« rief eine Freundin entrüstet, als ich’s ihr erzählte. »Sie wollen diese Kinder jetzt HIV-Kinder nennen? Ja, sind die denn noch ganz dicht? !« Tatsächlich, von IVF zu HIV ist es — buchstäblich — nur ein winziger Schritt. Die Abkürzung HIV kennt inzwischen jede und jeder — aber wer kann sich schon unter IVF etwas vorstellen?
    Die Jury sieht das allerdings anders und begründet ihre Entscheidung wie folgt: »Es handelt sich um eine kurze und angesichts der weltweit schon gebräuchlichen Abkürzung für die neue medizinische Technik (IVF = In-vitro-Fertilisation, deutsch Befruchtung im Kulturgefäß ) sachlich eindeutige Benennung, die das so bezeichnete Leben entsprechend seinen besonderen Entstehungsbedingungen charakterisiert, ohne es zu stigmatisieren.«
    Werden wir also in Zukunft in den Geburtsanzeigen lesen: »Die Geburt eines gesunden IVF-Jungen geben bekannt...« oder »Unser Sebastian hat ein IVF-Schwesterchen bekommen...«? Werden die Eltern ihren »IVF-Kindern« zu gegebener Zeit »sachlich eindeutig« mitteilen: »Du bist ein IVF-Kind« statt des nunmehr veralteten »Du bist ein Retortenbaby«?
    Beides ist kaum zu erwarten, denn die Eltern werden kein Bedürfnis haben, ihr Kind »entsprechend seinen besonderen Entstehungsbedingungen zu charakterisieren«. Kinder müssen nämlich überhaupt nicht »ihren Entstehungsbedingungen entsprechend charakterisiert werden« [die Begründung erinnert fast an den betagten Kalauer »mein Kind heißt Waldemar, weil es im Walde war«]. Viele Kinder »entstehen« durch Vergewaltigung in der Ehe. Trotzdem sind wir bisher auch ohne Bezeichnungen wie Vergewaltigungskind oder Notzucht-Kind bestens ausgekommen.
    Die einzige Lösung des Problems ist also die Null-Lösung, wie auch bei dem Wort Fräulein-, nicht »nachbessern«, sondern: abschaffen !

    1988

Schreiben Männer anders? oder Der lange Weg zur Müdigkeit

    Daß auch Männer schreiben, und zwar viel zuviel, ist traurige Gewißheit. Ob sie aber anders schreiben als Frauen — diese Frage nach dem »männlichen Asthetick« läßt den postmodernen Mann nicht mehr zur Ruhe kommen. Ein Tagungsbericht aus Bad Schmoll von unserer Horrespondentin und Mittuterin Luise Pfusch.
    Alle, alle waren sie manngereist, von Dürrenmax-Frisch bis zu Reich-Rizinus, von Peter Schandke über Günter Griess bis Martin Wälzer. Die Einfalt und Breite der Themen war enorm — kein Zweifel: In Männerhirnen tut sich wieder was. Piier ein paar Proben aus der Fülle des Manngebots:
    Die Gruppe »Deutsche Aufklärung« schlug sich u. a. mit dem blutigen Problem herum, was denn an einem Stück wie Camelia Galotti überhaupt noch männlich sei.
    In der Gruppe »Humannismus und Deformationszeit« ging mann beherzt der Frage auf den Grund, ob der Orgasmus von Rotterdam wirklich ganz männlich gewesen sein könne. Auch die Männlichkeit von Martin Puder wurde ernsthaft bezweifelt. Der Nachweis, Puder heiße eigentlich Puther, wollte nicht gelingen.
    Hölderlein, Heini, Möricke — schon diese Namen wirkten plötzlich verstörend, von ihrer Lyrik und von Grimms Härchen erst gar nicht zu reden! Die deutsche Romanntick macht ihrem Namen keine Ehre, so wurde ebenso einhellig wie bekümmert festgestellt. Und schließlich: Die Faust von Joh. Wolfg. von Kroe-the! Allgemeines Mißbehagen machte sich breit.
    Den musikalischen Rahmen bildeten Werke von Verrutscho Bu-soni unter dem Dirigat von Riccardo Mutti, was die Stimmung noch weiter verdüsterte.
    In der russischen Sektion ging es hitzig um die Frage der Männlich- oder Weiblichkeit Drostojewskys. Der Hinweis auf seinen Roman Schuld & Söhne schaffte kaum Beruhigung.
    In der Sektion »klassische Moderne« war mann zuversichtlicher. Alles drehte sich um die Brüder Mann, natürlich. Auch die Romannisten konnten frohlocken: An Ballsack ist alles männlich, aber auch alles.

    Na denn: Proust
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