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Alle meine Schaefchen

Alle meine Schaefchen

Titel: Alle meine Schaefchen
Autoren: John Holgate
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Schnee, und an deren Rändern hingen zerbrechliche Eiszapfen. Die Felder deckte ein fleckenloses, jungfräuliches Weiß. Und der Berg, der hinter unserer winzigen Domäne emporragte, sah wie ein riesiges Stück Konfekt aus.
    Doch die Realität drängte sich wieder in mein Bewußtsein, als ich zu dem großen Schuppen kam, in dem die Milchkühe seit dem letzten November untergebracht waren: Zweiundzwanzig kräftig gebaute, schwarzweiße Friesenkühe. Nicht gerade eine sehr einnehmende Herde. Als wir sie uns am Anfang unserer Arbeit als Bauern angeschafft hatten und uns bewußt waren, daß unsere Fähigkeiten in bezug auf die Melkkunst gleich Null waren, hatten wir bei ihnen mehr auf Alter, Geduld und einen guten Charakter geachtet als auf Jugend und Schönheit.
    Warm und behaglich lagen sie auf dem Stroh in der von ihnen gewählten Position. Mein Auftauchen verursachte keinerlei Wirkung bei ihnen. Sie richteten schläfrige, braune Augen auf mich, trafen aber keine Anstalten, sich zu bewegen. Es lag so lange nicht in ihrer Absicht, das zu tun, bis es absolut notwendig wurde.
    Und das wurde es: Ich war ja schließlich nicht aus lauter Jux und Dollerei gekommen. Ich lief zwischen ihnen herum und stieß die fürchterlichsten Drohungen aus, falls sie nicht mitmachen würden. Ich nannte sie >faules Pack< und fand noch schlimmere Ausdrücke. Es half nichts. Sie waren ein zynischer, erfahrener Haufen, der im Leben so gut wie alles bereits mitgemacht hatte und den nun nichts mehr erschütterte. Daher blieben meine Anstrengungen erfolglos, bis schließlich eine von ihnen, Horney, sich langsam erhob, sich reckte, den Rücken wölbte, den Darm leerte und sich dann herabzulassen geruhte, sich in Richtung Tür zu bequemen. Ohne jegliche Hast folgte ihr der Rest. Sobald sie den überdachten Teil des Hofes verlassen hatten, mußten sie etwa dreißig Meter unter freiem Himmel laufen, um den Melkstall zu erreichen — und das war gar nicht nach ihrem Geschmack. Mit eingekniffenen Schwänzen eilten sie wie ältliche Jungfern, die von einem Regenguß überrascht wurden, hinüber.
    Normalerweise kam Whitey, unsere betagte, aber noch immer reichlich Milch gebende Friesenkuh, als letzte heraus. Sie brauchte immer etwas mehr Zeit, um ihren Knochenapparat zum Funktionieren zu bringen. Aber nachdem sie unbeholfen davongewankt war, stand noch eine schwerfällige, quadratisch aussehende Kuh, mit dem anmutigen Namen Clara, irgendwie unglücklich in einer Ecke herum. Etwas stimmte nicht mit ihr.
    Sie war ein sanftes, friedfertiges Tier. Als ich sie vor etwa drei Monaten sehr preiswert auf einer Auktion erstanden hatte, war sie seit fünf Monaten trächtig. Wir hatten sie damals gekauft, weil sie so gut wie keine Milch produzierte; und nur wenige Bauern waren bereit, für ein Tier zu bieten, das sie so lange mit durchfüttern mußten, ohne dafür etwas in die Melkkannen zu bekommen. Unsere Überlegung war, daß der Wert des Kalbes, sobald es geboren worden war, den Kauf rechtfertigen würde.
    Doch ich konnte mich jetzt nicht um sie kümmern. Jede Minute zählte, denn die Milch mußte um Punkt acht Uhr oben am Weg stehen. Obgleich John und ich mit Schaufeln einen Teil der unwegsamsten Steigung etwas verbessert hatten, drohte doch der Schnee unvorhergesehene Zwischenfälle während des Transports heraufzubeschwören. So trieb ich Clara in aller Eile aus dem Unterstand in das Gehege hinüber, das wir für kalbende Kühe reserviert hatten.
    Dieses Zwischenspiel bedeutete einen erheblichen Zeitverlust für mich in meinem Kampf gegen den Uhrzeiger. Aber ich war doch noch rechtzeitig da, als der Milchwagen ankam und Jock unsere vollen Kannen auflud und durch leere ersetzte. Er war nicht viel größer als die Milchkannen, und mit den eingefüllten fünfundvierzig Litern Milch wog jede hundertzwanzig Pfund; aber er handhabte sie mit hervorragender Geschicklichkeit, so daß alles ganz leicht und einfach aussah. Ich war froh, daß er mich nicht dabei beobachtet hatte, als ich mich abmühte, sie von dem Traktoranhänger hinüber zur Milchbox zu schleppen.
    »Wird bald tauen«, prophezeite er. »Man spürt’s schon in der Luft. Woll’n hoffen, daß es danach nicht wieder Frost gibt, dann säh’s bös aus.«
    Verstohlen kreuzte ich zwei Finger und spukte aus, womit ich hoffte, Unglück abwenden zu können. Nick hatte mir versichert, daß diese Geste große Wirkungskraft besäße.
    »Und wie sieht’s bei euch aus?« fragte der kleine Schotte.
    »Es geht. Wir
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