Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

alle luegen

Titel: alle luegen
Autoren: Meg Castaldo
Vom Netzwerk:
in Carmel kennen würde? Eine Gruppe Touristen hatte den doch tatsächlich einmal darum gebeten, ihnen eins seiner Gedichte vorzulesen. Vielleicht könnten wir ja mal zusammen hinfahren? Diese kleine Anekdote weckte mein Interesse. Ein Bulle mit Sinn für Poesie. Ich antwortete, dass ich es gewöhnlich vermied, den Fremdenführer zu spielen, in seinem Fall würde ich jedoch eine Ausnahme machen. Dabei beließen wir es erst einmal.
    Mein Onkel war wieder ganz er selbst - pessimistisch wie eh und je. Wir hatten uns an einen Tisch ganz hinten gewählt. Carmi setzte sich nie in die Nähe der Tür. »An solchen Stellen werden die meisten Taschendiebstähle begangen«, erklärte er mir. Er bestellte bei einem Kellner einen Krug Retsina und ein paar Appetithäppchen, bevor ich überhaupt eine Möglichkeit gehabt hatte, einen Blick auf die Karte zu werfen. Aber das war okay. Carmi kam anscheinend oft hierher und wusste, was schmeckte. Die Wände des Ladens waren mit maritimen Bildern bemalt und mit Fischernetzen behängt. Griechische Volksmusik drang aus den Lautsprechern. Das Restaurant war noch ziemlich leer; es war erst fünf Uhr.
    Der Kellner brachte den Retsina. »Sag mal, meine Liebe«, fragte Carmi, während er unsere Gläser füllte. »Hast du Christian eigentlich jemals getroffen?«
    Mir wäre es lieber gewesen, wenn Carmi das Thema nicht so bald zur Sprache gebracht hätte. Ich hätte es ihm gerne erst später erzählt, um das Essen nicht zu verderben. Deshalb beschloss ich, einfach noch zu warten. »Ein paar Mal«, sagte ich also. Es kam mir ausgesprochen komisch vor, über Christian zu sprechen, als ob er noch lebte und irgendwo herumlief. Aber ich stellte mir gerne vor, dass es so war.
    »Tja«, sagte Carmi und trank einen Schluck. »Du wirst es nicht glauben, aber ...«
    Ich wappnete mich innerlich gegen die nächste krude Geschichte.
    »... dieser Christian hat mir zweitausend Dollar abgeknöpft.« Er kippte seinen Retsina hinunter.
    »Wofür?«
    »Als Anzahlung«, sagte er. »Für das, was ich vorhabe.«
    »Das, was du vorhast?«
    Carmi nickte. »Ich habe ihn bezahlt«, fuhr er fort, »aber er hat bisher keinen Finger gerührt.«
    »Tut mir Leid«, sagte ich. »Was hast du denn vor?«
    »Meine Küche zu renovieren.« Carmi kicherte. »Christian wollte mir Tapeten und Farbe besorgen. Hast du die Farbmuster in der Küche denn nicht gesehen? Er meinte, ich müsste unbedingt etwas Neues haben.«
    Natürlich hatte ich sie gesehen, aber nie eine Verbindung zu Christian hergestellt...
    »Ich sag dir, Alex, ich war gar nicht so überzeugt von der Idee, aber er hat richtig gedrängelt.« Er leerte das nächste Glas.
    Schön zu wissen, dass Christian wenigstens in seiner Aufdringlichkeit beständig gewesen war.
    »Was hast du denn gedacht, worum es ging, meine Liebe?«, wollte Carmi wissen.
    »Ach, schon gut«, erwiderte ich seufzend.
    Also war die Sache geklärt. Carmi hatte sich um seine zweitausend Dollar gesorgt. Wer konnte es ihm verübeln? Ich hatte nicht die Kraft, ihm zu erklären, dass er sein Geld nie wieder sehen würde. Ein Kellner brachte uns eine große Platte voll mit gegrillten Peperoni, Tintenfisch, gefüllten Weinblättern, Oliven und so weiter. Alles roch stark nach Knoblauch. Wir langten zu und aßen eine Weile schweigend vor uns hin. Dann sagte Carmi: »Weißt du, Alex, Puerto Rico ist ein liberales Land.«
    »Tatsächlich?«
    Er nickte. »Die Leute da ...« Er nahm eine Olive und steckte sie sich in den Mund. »Sie wissen, dass jeder Mensch anders ist.«
    »Das ist gut«, bemerkte ich und fragte mich, worauf er hinauswollte.
    »In einer solchen Atmosphäre kann man viele interessante Erfahrungen machen.«
    »Das stimmt wohl.«
    Er hielt inne, um einem übergewichtigen Kerl in einem grauen Anzug zu winken - wahrscheinlich der Inhaber des Restaurants.
    »Also, Carmi«, sagte ich, »dann erzähl mir doch mal, was du in Puerto Rico gemacht hast.«
    »Naja«, antwortete er. »Ich habe einen alten Freund besucht.«
    »Das war doch sicher nett«, bemerkte ich und nickte so ernst ich konnte.
    Carmi biss in ein Stück Tintenfisch und verzog das Gesicht. »Das schmeckt, als ob es aus dem Hudson gezogen wurde«, sagte er und schob seinen Teller weg. Dann fuhr er fort. »Ich kenne Julio schon seit Jahren.«
    Ich sagte nichts. Ich erwartete den Beginn einer langatmigen Urlaubsanekdote. Also lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. Aber er sagte nur: »Julio bedeutet mir sehr viel.«
    Mein Gesichtsausdruck muss
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher