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Agnes und der Engel

Agnes und der Engel

Titel: Agnes und der Engel
Autoren: Anne Lay
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zuverlässig. Komm her und spute dich!“
    Widerwillig ließ Agnes sich auf die Füße helfen, konnte jedoch ihren Blick nicht von dem Mann am Fenster lösen. Grob wurde sie an der Schulter gepackt und auf die Treppe hinausgedrängt.
     
    „Was, um alles in der Welt, war das?“ Der Diener hatte sich zu seinem Herrn ans Fenster gesellt und sprach nun leise auf holländisch mit ihm.
    „Ich glaube, sie hat mich erkannt.“
    „Ihr wart schon einmal an diesem heruntergekommenen Fleckchen Erde?“
    „Ja, vor 23 Jahren. Mein Bruder war Landsknecht und ich begleitete die Truppe als Trossjunge. Schöppingen wurde erobert und...“
    Mit einem leisen Seufzen brach der Handelsherr ab. Mit schmerzlich verzerrtem Gesicht wandte er sich wieder dem Unwetter draußen zu.
    Sein Diener wartete ab. Er wusste, wann er besser schwieg und hoffte gleichzeitig darauf, dass er erfahren würde, was seinen Herrn bewegte. Minutenlang blickten sie schweigend hinaus, bis mit lautem Poltern der Badezuber hineingerollt wurde.
    „Von Klopfen hält man hier wohl nichts, wie?“
    „Verzeiht, Herr, meine Herrin hat mich zur Eile angetrieben... Ich bringe sofort das Wasser.“ Agnes knickste, machte aber keine Anstalten den Raum zu verlassen. Sie warf einen unziemlich langen Blick auf den Handelsherren. Erst das Räuspern des Dieners riss sie aus ihrer Erstarrung.
    Kannenweise schleppte sie das heiße Badewasser hinein und stellte die letzten beiden Kannen neben den Bottich.
    Sie wandte sich an die Männer, die schweigend am Fenster standen.
    „Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?“ Abwartend verharrte sie neben dem Zuber und beobachtete nun offen den vornehm gekleideten Herrn. Sein Diener schob sie jedoch vor die Tür.
    Drinnen half er seinem Herrn aus den durchnässten Kleidern.
    Schweigen stand zwischen den Männern, bis der Herr sich im dampfenden Wasser niedergelassen hatte.
    „Es war im Juni 1626“, begann der Herr seine Erzählung. „Ich war gerade zehn Jahre geworden und stolz darauf, meinen Bruder begleiten zu dürfen. Als Trossjunge war ich mit den Truppen, denen mein Bruder angehörte, hierhergekommen. Wir hatten dieses Kirchspiel erobert, als ich kurz vor unserem Abzug noch einmal die Umgebung durchstreifte. Kurz hinter dem Obertor lief ich bergauf, bis ich eine Senke mit Buschwerk erreichte. Mir gelang es, ein Kaninchen mit meiner Schleuder zu erlegen und danach schlenderte ich langsam wieder in Richtung des Tores, als mich verschiedene Geräusche aufmerken ließen. Neben mir knackte es im Gebüsch und aus dem Ort drang... Geschrei an mein Ohr...“ Sein Blick schien die vergangenen Geschehnisse zu sehen. „Zunächst wandte ich mich dem nähergelegenen Knacken zu und schlich vorsichtig näher. Dort hockte völlig verängstigt ein kleines Mädchen. Ich sagte ihr, sie solle ruhig sein und sich verstecken. Erst schien sie mich nicht zu verstehen, aber als ich meine Worte langsam und mit deutlichen Gesten wiederholte, nickte sie und verschwand geräuschlos.“ In seinen Erinnerungen verloren, dauerte es eine geraume Weile, bis er weitersprach: „Als ich zurück zum Tross kam, waren die Männer blutbesudelt. Erst später habe ich erfahren, dass sie die Bewohner am Tor und der dahinterliegenden Straße erschlagen hatten. Niemand hat mir damals gesagt, was genau geschehen war.“ Er stand auf und verließ den Badezuber.
    Sein Diener sah, wie er erschauerte, ob angesichts der Bilder in seiner Erinnerung, oder über die Kälte nach dem Bad, vermochte er nicht zu erkennen. Während der Diener das Badewasser nutzte, senkte sich wieder Stille über sie. Erst als beide in trockenen Kleidern am Tisch saßen, wagte er zu fragen: „Warum ist die Frau vor Euch auf die Knie gefallen?“
    „Ich weiß es nicht. Ihre Augen sind denen des Mädchens von damals ähnlich.“ Er schüttelte mit gerunzelter Stirn den Kopf.
    „Die Wirtin behauptete, ihre Magd sei stumm. Sollen wir wirklich hier bleiben, wenn sie uns offensichtlich belogen hat?“
    „Willst du etwa in das Unwetter hinaus?“ Deutlich hörbar prasselte der Regen auf Fenster und Dach. „Ich möchte meine Ladung nicht riskieren. Heute bleiben wir hier.“ Der Handelsherr verstummte, als es klopfte.
    „Schaff’ das Wasser heraus“, wies sein Diener Agnes an, die vorsichtig ihren Kopf durch die Tür streckte. Kanne für Kanne schleppte sie das Wasser wieder hinaus. Erst als der Zuber fast leer war, bat sie den Diener: „Könnt Ihr mir helfen, den Bottich nach nebenan zu
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