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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando
Autoren: Charles Stross
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zu
machen…«
    Was genau der Augenblick ist, in dem sich Manni, der seit einer
Minute an der Türschwelle wartet, brüllend und den
Sensenarm schwingend, auf die Katze stürzt, bereit
zuzuschlagen.
    Selbstverständlich ist der Katzen-Avatar auf Manni
vorbereitet: Er wirbelt herum, zischt und streckt die diamantscharfen
Krallen aus. »Nein, Manni!«, ruft Sirhan und erwacht aus
seiner Starre. Doch der erwachsene Manfred bleibt wie angewurzelt
stehen, weil er mit eiskaltem Gefühl bemerkt, dass hier mehr
geschieht, als mit bloßem Auge sichtbar ist. Mit seinen
menschlichen Händen greift Manni nach der Katze, packt sie im
Genick und zerrt sie gewaltsam vor die ekelhaften Scherenhände.
Es ist ein gellender Schrei zu hören, ein nervtötendes
Kreischen. Manni stößt Schlachtenrufe aus, während
sich an seinem Arm zwei helle, parallele Blutspuren abzeichnen. Der
Avatar ist ein Körper aus Fleisch und Blut, der von sich aus
agiert. Er ist mit einem autonomen Kontrollsystem ausgestattet, das
ohne Kampf nicht aufgeben wird, was immer sein viel
größerer Exocortex auch denken mag. Doch Mannis
Scherenhände zucken, es gibt ein grässlich sprudelndes
Geräusch, und aus dem Katzending, das durch die Luft segelt,
spritzt Blut. Ehe einer der Erwachsenen irgendwie eingreifen kann,
ist alles in Sekundenschnelle vorbei. Sirhan greift sich Manni und
zerrt ihn weg, aber die Katze hat diesmal keine hinterfotzigen Tricks
auf Lager. Ainekos Avatar ist nur noch ein zerfetzter, blutiger
Pelzlappen, Eingeweide und Blut haben sich quer über den Boden
verteilt. Mit den Ohren ihrer Innensprache hören die Menschen
kurz ein leises triumphierendes Katzenlachen, das gleich darauf
verhallt.
    »Böser Junge!«, schreit Rita und geht mit
großen Schritten wütend auf Manni zu, der sich duckt.
Gleich darauf beginnt er zu weinen – Schutzreflex eines kleinen
Jungen, der nicht genau versteht, was seinen Eltern Angst macht.
    »Nein! Ist schon in Ordnung«, versucht Manfred zu
erklären.
    Pamela legt den Arm fester um seine Taille. »Bist du immer
noch…?«
    »Ja.« Er holt tief Luft.
    »Du böses, böses Kind…«
    »Die Katze wollte ihn fressen!«, protestiert Manni,
während seine Eltern ihn vorsichtshalber aus dem Zimmer
schaffen. Über die Schulter hinweg wirft Sirhan dem erwachsenen
Manfred und seiner Ex-Frau einen schuldbewussten Blick zu.
    »Ich musste das böse Ding doch daran hindern!«,
ruft Manni.
    Manfred merkt, dass Pamelas Schultern so beben, als müsste
sie gleich lachen. »Ich bin noch hier«, murmelt er, selbst
halbwegs überrascht. »Unverdaut ausgekotzt, nach all diesen
Jahren. Zumindest glaubt diese Version von mir, dass sie
tatsächlich hier ist.«
    »Hast du der Katze das wirklich abgenommen?«, fragt
Pamela schließlich mit skeptischem Unterton.
    »O ja.« Während er Pamela gedankenverloren
übers Haar streicht, verlagert er das Gleichgewicht von einem
Fuß auf den anderen. »Alles, was sie gesagt hat, war
meiner Meinung nach darauf ausgerichtet, dass wir genauso reagieren,
wie wir es getan haben. Einschließlich und bis dahin, dass sie
uns gute Gründe gegeben hat, sie zu hassen. Sie wollte Manni dazu provozieren, ihren Avatar zu beseitigen. Aineko hatte
vor, sich aus unserem Leben zu verabschieden, und war der Meinung,
dass das Gefühl einer Katharsis es am Ende leichter machen
würde. Ganz zu schweigen davon, dass sie in unserer
Familienbiografie den deus ex machina gespielt hat. Eine
klassische Komödiantin, verdammt noch mal.« Er lässt
sich vom Gehirn der Stadt einen Zustandsbericht, die eigene Person
betreffend, geben und seufzt auf: Die Anzahl der verfügbaren
Manfreds hat sich gerade um eine Version vermindert. »Sag mal,
glaubst du, dir wird Ainekos Nähe fehlen? Wir werden
nämlich nie mehr von ihr hören…«
    »Lassen wir das Thema für den Augenblick.« Sie
vergräbt ihr Kinn an seinem Hals. »Ich fühle mich so benutzt.«
    »Du hast auch allen Grund dazu.« Eng umarmt bleiben sie
eine Weile stehen, ohne zu reden. Eigentlich fragen sie sich gar
nicht, warum sie – nach so langer Trennung – wieder
zusammengekommen sind. »Sich mit Göttern abzugeben ist
für bloße Sterbliche wie uns stets mit einem Risiko
verbunden. Du fühlst dich benutzt? Mich hat Aineko
inzwischen vermutlich schon umgebracht. Es sei denn, sie hat auch in
dem Punkt gelogen, der die Vernichtung meiner Zusatzkopie
betrifft.«
    Pamela zittert plötzlich in seinen Armen. »Das ist das
Schlimme, wenn man mit Posthumanen zu tun hat: Ihr
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