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Abteil Nr. 6

Abteil Nr. 6

Titel: Abteil Nr. 6
Autoren: Rosa Liksom
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ersten Mal nicht aufhört, schlage ich ihr richtig kräftig mitten in die Fresse. Das ist nicht leicht für mich, ich schlage nicht gern zu, aber es kommt jedes Mal dazu. Schließlich habe ich auch ein Recht, in den eigenen vier Wänden den Mund aufzumachen und ein Mensch zu sein, selbst wenn ich da nur selten auftauche.«
    Der Mann wog seine Worte genau ab, ließ eins nach dem anderen fallen. Die junge Frau konzentrierte sich darauf, die Ohren zu verschließen.
    »Ein gewöhnlicher Streit mitten in der Nacht ist deprimierend. Er nimmt dem Leben alle Freude. Letzte Nacht im Traum wälzte sich ihr schreiender Geruch wie ein Panzer auf mich. Allein der Gedanke an ihre abgebrannte Fotze bringt mich dazu, die Wände vollzukotzen.«
    Der Waggon ruckelte, die Hand des Mannes hüpfte, im Augenwinkel bildete sich eine Träne. Er wischte sie mit dem Handrücken weg und schloss die Augen, räusperte sich, streckte den Rücken durch, sog die Lunge voll mit Luft und blies sie wieder leer.
    »Aber alles hat seine Grenzen. Ich schlage Katinka nie auf dem Gang der Kommunalka, auch nicht auf der Straße und nicht auf dem Amt. Ich schlage sie einzig und allein in unserem eigenen Zimmer, denn sonst kommt der Blockwart oder die Miliz, und ich mag beide nicht, schon gar nicht die Miliz. Die Hauptregel lautet aber: Der Junge darf es nicht sehen, denn immerhin ist Katinka seine Mutter. Jetzt ist der Junge so groß, dass er schon sein eigenes Mädchen schlägt. Das gefällt mir nicht … Wenn du deine Alte mit dem Hammer haust, machst du aus ihr Gold, haben mir die alten Kerle geraten, als ich ein junger Mann war. Dieser Rat ist befolgt worden. Vielleicht sogar zu gut.«
    Die junge Frau schaute mal zu Boden, mal auf eine Wolke, die am Rand des Horizonts erstarrt war. Einem solchen russischen Mann war sie noch nie begegnet. Oder vielleicht doch, aber sie wollte sich nicht daran erinnern. Kein Russe hatte je in diesem Ton mit ihr gesprochen. Dennoch hatte dieser Mann etwas an sich, das sie kannte, seine Dreistigkeit, seine Art, die Wörter zu dehnen, sein Lächeln, sein verächtlicher, sanfter Blick.
    »Katinka ist eine russische Frau, grausam und gerecht. Sie geht arbeiten, kümmert sich um Haus und Kinder und hält alles aus. Ich denke bloß über manche Dinge anders als sie. Nehmen wir zum Beispiel mein altes Mütterchen. Wir wohnen alle nebeneinander in derselben Kommunalka, und ich finde, das ist eine gute Sache, da kann Katinka ihr von dem Essen bringen, das sie für den Jungen und sich gemacht hat, und gleichzeitig ein bisschen gucken, dass dem Mütterchen das Leben schmeckt. So leicht ist das aber nicht. Unsere ganze dreiundzwanzigjährige Ehe lang hat die Nutte von mir verlangt, sie hinauszuwerfen.«
    Die junge Frau stand auf, um in den Gang zu gehen, aber der Mann packte sie hart an der Hand und deutete auf das Bett.
    »Es wird bis zum Schluss zugehört.«
    Die junge Frau riss sich los. Der Mann stürzte ihr nach und zog sie am Handgelenk zurück, kräftig, aber zugleich väterlich. Sie ließ sich auf das Fußende ihres Bettes sinken.
    Der Mann setzte sich auf seinen Platz, legte den Zeigefinger auf die Lippen, blies leicht und lächelte frivol.
    »Eins hat mich schon immer gewundert: Jeder Bräutigam liebt seine Braut, aber jeder Kerl hasst seine Alte. Sobald die Heiratspapiere unterschrieben sind, verwandelt sich der Mann in einen alten Kerl und die Frau in ein altes Weib, und von da an nagt an beiden die Unzufriedenheit. Die Alte denkt, wenn wir uns nur Komfort verschaffen, dann wird sich alles legen. Ihr geht es um die eigene Kochplatte, den neuen Bademantel, die Bodenvase, den Kochtopf ohne Beulen oder das Teeservice aus Porzellan. Der Kerl denkt seinerseits, wenn ich zu den Huren gehe, ertrage ich das Weib hier besser. Aber trotz allem … Wenn ich mir Katinka richtig anschaue, hätte ich manchmal Lust zu sagen, Katjuscha, meine kleine Närrin, mein kleines Dummerchen.«
    Er seufzte schwer, griff mit der Hand in die Tüte mit den Gurken, erwischte eine, biss ab und schluckte aus Versehen das ganze Stück.
    »Wir Männer taugen zu nichts. Die Weiber kommen ohne uns besser zurecht. Uns braucht niemand. Außer der andere Mann. Gerade jetzt, in diesem Augenblick, hätte ich Lust, auf die russische Frau zu trinken, auf ihre Tüchtigkeit, ihre Zähigkeit, ihre Geduld, ihren Mut, ihren Humor, ihre List, ihre Tücke und auf ihre Schönheit. Die Weiber sind es, die dieses Land aufrechterhalten.«
    Der Mann schob eine Hand unter die
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