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Abschlussfahrt

Abschlussfahrt

Titel: Abschlussfahrt
Autoren: Jochen Till
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Nele. »Hast du nicht gesagt, er kommt noch mit zum Bahnhof?«
    »Ach, hör mir bloß auf mit dem!«, erwidert Henny. »Weißt du, wo der gerade ist? Das glaubst du nicht! Hat mir eine SMS geschickt, dieses Arschloch. So vor einer Stunde! Das musst du dir mal …«
    Verdammt, muss dieser blöde Zug ausgerechnet jetzt einfahren? Ich verstehe kein Wort mehr! Was ist denn mit ihrem Lover? Sie hat zurzeit so einen Schleimer, sieht ein bisschen aus wie Matt Damon. Oder hat sie ihn jetzt etwa nicht mehr? Nicht, dass das für mich irgendetwas ändern würde. Aber trotzdem, interessieren würde es mich schon brennend. Kannst du nicht schneller anhalten, du dämlicher Zug? Oder wenigstens leiser? Mist!
    »… hat sie doch nicht mehr alle, oder?«, dringt Hennys Stimme endlich wieder an mein Ohr.
    »Hammer!« Nele schüttelt fassungslos den Kopf.
    Was? Was hat er denn gemacht? Ist jetzt Schluss mit den beiden oder nicht?
    »Na ja, drauf geschissen«, winkt Henny ab. »Davon lassen wir uns den Spaß bestimmt nicht verderben, nicht wahr? Hast du an den Bacardi gedacht?«
    »Klar«, sagt Nele und zeigt auf ihren Rucksack. »Zwei Flaschen.«
    »Sehr gut.« Henny strahlt. »Toskana, wir kommen! Können wir eigentlich schon einsteigen? Ich will unbedingt am Fenster sitzen. Und in Fahrtrichtung. Sonst wird mir schon schlecht, bevor die erste Flasche offen ist. Jonas? Weißt du, ob wir schon einsteigen können?«
    »Keine Ahnung. Wo ist denn Wuttke?«
    Wir recken alle drei unseren Hals in die Luft, als plötzlich Wuttkes Stimme ertönt.
    »Hallo!«, versucht er gegen den Bahnhofslärm anzubrüllen. »Alle mal herhören! Ihr könnt dann gleich einsteigen! Wagen 26! Das ist der hier hinter mir! Ihr dürft euch hinsetzen, wo ihr wollt! Aber versucht bitte, einigermaßen zusammenzubleiben!«
    Die Ersten drängen bereits auf die Türen zu, ich hänge mich an Nele und Henny.
    »Moment!«, hält Wuttke uns zurück. »Moment noch!«
    Er wedelt mit seiner Liste.
    »So weit sind alle da!«, ruft er. »Bis auf Marlon! Hat jemand Marlon gesehen?«
    Marlon. Wer sonst? In der Schule schafft er es auch nie, pünktlich zu kommen. Wir schauen uns um, aber keine Spur von Marlon.
    »Der Junge bringt mich noch mal ins Grab«, seufzt Wuttke. »Könnte ihn bitte jemand mal eben schnell anrufen und fragen, wo er bleibt? Lars? Du hast doch bestimmt seine Handynummer?«
    Natürlich hat er die. Lars ist Marlons bester Kumpel. Oder eher sein Sidekick, wenn man es genau nimmt. Wann immer Marlon etwas anstellt, ist Lars mit Sicherheit nicht weit und irgendwie daran beteiligt.
    »Sorry!«, brüllt Lars. »Kein Guthaben!«
    »Ich mach das!«, rufe ich Wuttke zu und ziehe mein Handy aus der Hosentasche.
    Ich drücke Marlons Nummer, es tutet.
    »Jonas, alte Socke!«, höre ich seine Stimme. »Was geht?«
    »Was geht? Der Zug geht, Marlon! Mensch, wo bleibst du denn? Wir sind hier quasi schon am Einsteigen.«
    »Gemach, gemach. Keine Hektik. Auf welchem Gleis war das gleich noch mal?«
    »Gleis neun. Wie lange brauchst du denn noch? Wuttke sieht nicht gerade glücklich aus.«
    »Der Mann ist Lehrer, Jonas. Nicht glücklich auszusehen, gehört zu seinem Berufsbild.«
    »Marlon, der Zug fährt in fünf Minuten los!«
    »Ich sehe was, was du nicht siehst.«
    »Was? Marlon, das ist jetzt nicht die Zeit für blöde Spielchen!«
    »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das hat ein Handy am Ohr.«
    »Mann, Marlon! Jetzt hör doch endlich auf mit dem …«
    »Ich sehe was, was du nicht siehst, und das steht auf einem Schlauch.«
    »Marlon, ich …«
    »Guck mal nach rechts!«
    »Was?«
    »Nach rechts gucken! Du weißt doch, wo rechts ist, oder?«
    Ich drehe meinen Kopf nach rechts und blicke an den Anfang des Bahnsteigs. Dort sehe ich Marlon seelenruhig auf uns zuschlendern, eine große Sporttasche geschultert, Kippe im Mundwinkel, breites Grinsen.
    Ich klappe mein Handy zu und stecke es wieder ein.
    »Da kommt er!«, rufe ich Wuttke zu.
    Wuttke seufzt und hakt Marlon auf seiner Liste ab. Jede Wette, im Grunde genommen wäre er mehr als froh gewesen, wenn Marlon den Zug verpasst hätte. Weniger Stress. Viel weniger Stress.
    Die meisten Leute – insbesondere Lehrer und Eltern – würden Marlon wohl als Assi bezeichnen. Aber das trifft es nicht ganz. Dazu ist er nicht hohl genug. Im Gegenteil, er ist sogar ziemlich intelligent. Genau das fuchst die Lehrer ja so. Sie können ihm einfach keine schlechten Noten geben und ihn auf diese Art loswerden, keine Chance. Er ist
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