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Abgeschaltet

Abgeschaltet

Titel: Abgeschaltet
Autoren: Johannes Winterhagen
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Weltenergiebedarf wird künftig irgendwo zwischen 15 Terrawatt – dem Stand heute – und 100 Terrawatt liegen.«
EXKURSION: DIE WÜSTE LEBT
    Beim Landeanflug auf Las Vegas habe ich einen Fensterplatz. Farbenfroh leuchtet mir der Strip entgegen, die Flaniermeile der Vergnügungsstadt. Kaum zu glauben, dass die ersten Siedlertracks, die durch das südliche Nevada zogen, der Überzeugung waren, hier könne kein Leben gedeihen. Es kann. Aber warum ist das so, trotz Temperaturen von mehr als 110 Grad Fahrenheit bei einer Luftfeuchtigkeit von zehn Prozent?
    Zunächst war es ein geologischer Glücksfall, der die Besiedlung einer der trockensten Wüsten der Welt ermöglichte. Denn im Tal von Las Vegas, nur wenige Hundert Meilen vom »Death Valley« entfernt, war über Jahrtausende ein reiches Grundwasserreservoir entstanden, das sich aus dem Schmelzwasser nahe gelegener Gebirge speist. An einzelnen Stellen bildeten sich natürliche Quellen, die grüne Inseln im Wüstenmeer schufen. Die ersten Pioniere glaubten zunächst an eine Fata Morgana, dann an ein Wunder. Als das Grundwasser entdeckt wurde, explodierte die Stadt förmlich. Lebten 1900 noch rund 30 Siedler in Las Vegas, waren es 15 Jahre später schon 5000. Die Stadt wurde zu einem wichtigen Eisenbahn-Knotenpunkt, zur perfekten Zwischenstation auf dem Weg nach Los Angeles.
    Doch rasch wurde das Wasser knapp. Man begann darüber nachzudenken, es aus dem 30 Meilen östlich gelegenen Colorado River abzuzweigen. Der wiederum machte den Farmern, die sich an seinen Ufern niedergelassen hatten, schwer zu schaffen. Da der Fluss im weit entfernten Bundesstaat Colorado entspringt, führte er im Frühjahr das Schmelzwasser unzähliger Berge mit sich, was vor allem nahe der Mündung in Kalifornien riesige Überschwemmungen verursachte.
    In den zwanziger Jahren suchte Handelsminister Herbert Hoover, studierter Bergbauingenieur und zwischen 1929 und 1933 der 31. Präsident der USA, nach einem geeigneten Ort für einen Staudamm. Er fand ihn in der Nähe der heutigen Kleinstadt Boulder City. Ab Baubeginn 1931 entstand in nur vier Jahren ein Bauwerk der Superlative. Für mehr als 30 Jahre war der Hoover-Damm der größte Staudamm der Welt. Bis 1949 hielt er außerdem seine Position als weltweit größtes Elektrizitätswerk. Der dahinter liegende Lake Mead ist heute noch der größte von Menschenhand geschaffene See der USA. Das Trinkwasser in Las Vegas stammt ganz überwiegend aus dieser Quelle.
    Als auf der Anfahrt zum Hoover-Damm der See plötzlich sichtbar wird, tiefblau zwischen Wüstenbergen, staune ich ähnlich wie die ersten Siedler beim Anblick der Quellen im heutigen Las Vegas. Das Bauwerk selbst ist trotz seiner Ausmaße von erstaunlicher ästhetischer Leichtigkeit. Die Staumauer mit einer Höhe von mehr als 200 Metern und einer Länge von 380 Metern an der Krone stemmt sich einem See entgegen, der 35 Milliarden Kubikmeter Wasser fasst.
    Ein unerschöpfliches Reservoir? Ich bin erstaunt, dass der Wasserspiegel deutlich niedriger liegt als auf den Fotos, die ich zuvor im Internet gesehen habe. Vor Ort erfahre ich, dass der Colorado seit einigen Jahren deutlich weniger Wasser führt. Im Schnitt laufen die 17 Turbinen des Kraftwerks daher nur mit 75 Prozent der maximalen Leistung, die in Summe etwas über zwei Gigawatt beträgt. Dabei kommt jedoch immer noch mehr Strom heraus, als ein durchschnittliches Atomkraftwerk produziert. Nur etwa ein Prozent davon kommt in Las Vegas an – die Stadt hatte sich, das eigene Wachstum nicht vorhersehend, nur einen geringen Anteil an der Erzeugung gesichert.
    Las Vegas, von den Amerikanern auch »Sin City« (Stadt der Sünde) genannt, braucht in den frühen Abendstunden mehr als fünf Gigawatt elektrischen Strom. Das ist so viel, als würde jeder Einwohner – eine halbe Million Menschen leben im Stadtgebiet – gleichzeitig zehn Staubsauger laufen lassen. Der wesentliche Treiber für den Energieverbrauch ist aber weder besondere Reinlichkeit noch die vielen Neon-Reklameschilder, die sowieso immer öfter aus hocheffizienten Leuchtdioden bestehen. Es sind die Klimaanlagen, die im Sommer bei Außentemperaturen von 45 Grad Celsius in den Casinos, Einkaufszentren und Büroräumen für angenehme Kühle sorgen.
    Trotzdem muss es kein Traum bleiben, eine so energieintensive Stadt wie Las Vegas mit erneuerbaren Energien zu versorgen. Nevada hat sich 2009 ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis 2025 muss jede vierte Kilowattstunde regenerativ erzeugt werden,
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