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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen
Autoren: Manfred Krug
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sollte um sieben Uhr im Innenministerium sein. Ich sagte, ich möchte den Zettel gern behalten, weil ich solche Dokumente im Haus haben will. Diese drei Männer im Ledermantel sagten »Nein, Sie geben ihn sofort zurück, Sie haben ihn gelesen.« Ich sagte: »Sagen Sie dem Genossen Dickel, ich werde wahrschein lich nicht bis sieben da sein können.« Ich war kurz nach sieben im Innenministerium. Ich wurde von einem Polizeioffizier rechts und einem Polizeioffizier links über die berühmte Seufzerbrücke zum Genossen Dickel geführt, der in einem winzigen Büro saß, hinter einem Schreibtisch. Er bot mir keinen Stuhl an, ich nahm mir einen Stuhl. Dann zog er seinen Schreibtisch auf und zog einen Zettel heraus, er las nämlich ab. Und er las mir einen Befehl vor, in Zukunft davon abzusehen, die DDR zu verleumden. Ich bin freiwillig in die DDR gekommen. Ich habe die DDR nie verleumdet, ich habe sie immer verteidigt. Ich erzählte dem Genossen Dickel, daß seine Ansicht, ich verleumdete die DDR, auf falschen Informationen beruhte. Das verstörte ihn ungeheuer, denn er las die Aufforderung daraufhin von Anfang an noch einmal vor. Ich sagte: »Ich nehme das zur Kenntnis. Soll ich gleich hierbleiben?« Darauf sagte er: »Nein, auf Wiedersehen.« Ich ging aus dem Büro, wieder in Begleitung dieser zwei Leute und traf auf der Seufzerbrücke – auch begleitet von zwei Leuten – den Genossen Biermann. Das war das zweite Mal, daß ich ihn in einer solchen Situation traf. Das erste Mal war 1956. Ich war im Krankenhaus. Nun tat sich einiges hier ‘56, das wissen Sie vielleicht auch noch. Da kam Biermann zu mir ins Krankenhaus, ein junger Student damals, und teilte mir mit, daß die Veterinärmediziner moserten, und ob ich nicht helfen könnte. Ich hatte damals »Offen gesagt« geschrieben, eine Kolumnenreihe in der Zeitung, und er glaubte, ich habe irgendwelchen Einfluß. Ob ich nicht verhindern könnte, was da geschieht. Er meinte, daß ich mich anziehe und hingehe. Ich lag aber wegen einer Herzgeschichte und konnte das nicht tun. Ich rief also den Genossen Erich Wendt an, sagte, hier ist das und das, könnt ihr da vielleicht etwas verhindern, ich hab eine Nachricht bekommen. Das war Biermann. Wenn Biermann so geworden ist, wie er heute ist, so kritisch, dann ist es, Genosse Lamberz, nicht die Schuld von Biermann. Ich habe später ein Gespräch geführt mit einem der höchsten Genossen hier – ich will den Namen nicht nennen, weil es ein vertrauliches Gespräch war –, wo mir der Genosse gesagt hat: das XI. Plenum war ein Fehler. Wir sprachen dann auch über Biermann. Und mir wurde das Versprechen gegeben, daß man sich mit Biermann zusammensetzt, um das zu tun, was man längst hätte tun sollen: diesen außerordentlich begabten Dichter, Komponisten, Sänger und Schauspieler mit seinen Sachen, die nämlich für uns gemacht sind, Genosse Lamberz, auch für uns zu verwenden. Ich habe hinterher noch zweimal bei Ministern nachgefragt, die wußten von diesem Versprechen, und die sagten, nein, wir können das nicht durchführen. Es gibt also im Politbüro Leute, die eine vernünftige Politik – nicht nur Biermann, sondern auch anderen Kulturschaffenden gegenüber – verhindern, Genosse Lamberz, Sie werden das selbst wissen, das wollen wir auch aussprechen. Ich bin überzeugt, es sind diese Leute, die uns alle in diese sehr peinliche und unangenehme politische Situation gebracht haben. Denn was ist geschehen? Ich will jetzt nicht darüber streiten, denn wir haben uns versichert, daß es eine Entscheidung innerhalb zwölf Stunden war. Ich will nicht fragen, wie es kommt, daß dieser unqualifizierte Brief, der da bestellt worden ist, am 12. November schon im NEUEN DEUTSCHLAND erscheint.
     
    Lamberz:
    Wer hat den denn bestellt?
     
    Heym:
    Gut, ich nehme das Wort »bestellt« zurück. Er wurde gebracht am 12. November. Ich will mich auch nicht mit Ihnen darüber unterhalten, Genosse Lamberz. Und aus gerechnet der »Dr. K.«, über dessen Vergangenheit man sehr viel sagen könnte, wird dazu benutzt, einen Mann auf diese Art …
     
    Becker:
    In einem SFB-Kommentar wurde die NSDAP-Mitgliedsnummer von »Dr. K.« – Dr. Kertzscher – veröffentlicht. Das ist eine peinliche Sache. Ich könnte heulen vor Scham, wenn ich eine solche Nachricht höre.
     
    Lamberz:
    Dr. K. hat sich im Jahre ‘44/’45 von den Nazis abgewendet, in einer Zeit, wo so was …
     
    Heym:
    Ich komme gleich auf diesen Punkt, Genosse Lamberz, der Mann muß aber
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