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Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters

Titel: Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters
Autoren: T Rammstedt
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hoch.
Die Schwerkraft wehrt sich, als ob es hier wirklich noch um Zentimeter ginge.
Die Schwerkraft hat doch keine Ahnung. Warum zum Teufel glauben Sie ihr mehr
als mir? Warum, Herr Willis?
    Ihr
    Tilman Rammstedt
    Im Grunde ließe sich alles in einem einzigen Satz
zusammenfassen, sagte mein ehemaliger Bankberater. Ich kannte ihn da schon fast
ein Jahr. Ich wusste, dass ich nicht auf die zweite Hälfte seiner Aussage
warten musste. Ich wusste, dass es sie nicht gab. Ich wusste, dass er wieder
einmal nur die halbe Wahrheit kannte, aber ich wusste auf einmal nicht
mehr, ob das wirklich so wenig war.

Sehr geehrter Herr Willis,
    also gut, ich lasse Sie los. Dann finden wir eine andere Lösung,
dann kommt eben ein Auto, dagegen können Sie nichts haben, Autos fahren nun
einmal an Tankstellen, das hebelt meines Wissens keine Naturgesetze aus.
    Es ist ein blauer Škoda, aber das sehe ich erst, als ich den dumpfen
Schlag hinter mir höre, als eine Tür aufgerissen wird, als eine Frau »Oh, mein
Gott« ruft. Ich drehe mich um und sehe, wie sie sich über den Hund beugt. »Ist
das Ihrer?«, fragt sie. Ich nicke. Die Frau schaut mich flehend an. Dass sie
ihn einfach nicht gesehen habe, sagt sie. Ich müsse ihr glauben, der Hund sei
ihr anscheinend einfach vor den Wagen gerannt. »Oh, mein Gott«, sagt sie immer
wieder, sie selbst habe bis vor Kurzem auch so einen gehabt, etwas dunkler,
Ernesto. Da sind Tränen in ihren Augen, und sie hört nicht auf, sich zu
entschuldigen. Ich nicke Ihnen kurz zu, dann dränge ich die Frau zur Seite und
beuge mich über den toten Hund, nehme seinen Kopf in meine Hände und tue so
besorgt wie möglich. »Er atmet noch«, rufe ich. »Nur ganz schwach, aber er
atmet noch.« Ich klinge wahrscheinlich nicht sehr überzeugend, aber der Frau
bleibt nichts anderes übrig, als erleichtert zu lächeln. Dass er auf der Stelle
zu einem Arzt müsse, rufe ich, dass wir keine Zeit verlieren dürften. Und weil
die Frau immer noch nichts anderes tut, als zu lächeln, rufe ich es lauter:
»Fahren Sie uns sofort zum Tierarzt! Sonst gibt es hier Tote.«
    Sie sieht mich zögernd an, sie sieht den Hund an, sie schaut zu
Ihnen hinüber und vergisst dabei, mit dem Lächeln aufzuhören, auch wenn es
längst nicht mehr passt. Ich kann sehen, wie sie nach einer Ausrede sucht, nach
einem guten Grund, sich zu weigern. Aber immer muss sie an Ernesto denken, an
seine leeren Augen, seine verdrehte Pfote, sie denkt an die Nächte, in denen
sie sich fragen wird, ob es nicht Schicksal war, heute einen Hund retten zu
können, nachdem sie Ernesto damals nicht retten konnte, sie denkt daran, wie
sie sich schlaflos wälzen wird. Und währenddessen habe ich schon längst den
Hund auf den Rücksitz des Škoda gelegt, übertrieben behutsam, Beschwichtigungen
murmelnd.
    Ich gehe zu Ihnen hinüber, strecke meine Hand aus. »Bitte, Herr
Willis«, sage ich. »Bitte, nur drei Schritte. Nur bis zum Auto.« Sie schauen
mich nicht an. »Drei Schritte«, sage
ich noch einmal. »Links, rechts, links. Das ist zu schaffen.« Sie seufzen, greifen
meine Hand und lassen sich hochziehen. Links, rechts, links, Herr Willis. Ich
mache es Ihnen vor.
    Ihr
    Tilman Rammstedt
    Ende Juni stand auf dem Schreibtisch meines ehemaligen
Bankberaters ein kleiner Weihnachtsbaum, der fast komplett aus Lametta bestand.
Kontrazyklisch zu handeln sei das Wichtigste in seinem Geschäft, erklärte er
mir und bestand darauf, dass ich mir das notierte. Als der Baum im Januar immer
noch dort stand, erklärte er, dass Beharrlichkeit das Wichtigste sei. Auch das
sollte ich mir notieren. Mitte März war der Schreibtisch wieder leer. »Was ist
mit dem Baum?«, fragte ich, und mein ehemaliger Bankberater schaute mich
verständnislos an. »Ach, das olle Ding«, sagte er schließlich. Ob ich mir das
auch notieren solle, fragte ich, und mein Bankberater schüttelte den Kopf.
Stattdessen schrieb ich »Das Bleiben der Dinge ist ihre größte
Schwäche«, dann strich ich es wieder durch.

Sehr geehrter Herr Willis,
    in der rechten Hand halte ich den Stadtplan, mit dem ich die
Frau Richtung Gefängnis leite, »zu einem Spezialisten«, wie ich ihr versichere.
Mit der linken streichele ich den Hund. Unentwegt rede ich auf ihn ein, um
unangenehme Fragen zu vermeiden. Dass er durchhalten solle, sage ich. Dass er
bald Hilfe bekomme, sage ich. Dass alles wieder gut werde, ganz bestimmt werde
es das. In Nullkommanichts sei er wieder auf den Beinen, und ich ertappe mich
dabei, das sogar selbst
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