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Abendkuss - Teil I

Abendkuss - Teil I

Titel: Abendkuss - Teil I
Autoren: Birgit Loistl
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ich vermisse unsere Kämpfe, die wir immer brüderlich ausgetragen haben. Auch wenn dabei der ein oder andere Flügel gebrochen wurde.
    Lukas nimmt Sara in den Arm, sie reicht ihm gerade mal ein paar Zentimeter über den Bauchnabel. Er drückt ihr einen Kuss auf den Scheitel und drückt sie fest an sich.
    „Wann geht es los? Ich kann es kaum noch erwarten. Diesmal wird nichts schiefgehen, Noah, das spüre ich. Mein rechter Flügel zittert seit ein paar Tagen.“ Er zwinkert Sara zu, während er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht streicht. Ich drehe mich um und sehe noch einmal aus dem Fenster. Mia steht immer noch Fenster und beobachtet die Straße.
Wie zerbrechlich sie ist. Zart wie eine Blume. Ein Wimpernschlag und sie ist tot.
    Ich schüttle kaum merklich den Kopf, um diese Gedanken aus meinem Kopf zu streichen und wende mich an Lukas.
    “Du kannst dich auf mich verlassen! Ich habe einen Weg gefunden, sie zu töten und diesmal wird es mir gelingen!“
     

4. Kapitel
     
    Mia
     
     
    Stimmen dringen durch die Schatten,
    flüstern, schreien, klagen,
    halten mich gefangen.
    Wohin ich gehe, wohin ich sehe,
    bin ich allein.
                                                                „Schattenstimmen“ Gedicht Nr. 10
     
    Ich stehe immer noch am Fenster und kann nicht begreifen, was sich dort in den letzten Minuten abgespielt hat. Dabei weiß ich nicht einmal, was mich wütender macht. Die Tatsache, dass ich mir das Blut au seinem Shirt nur eingebildet habe und höchstwahrscheinlich kurz davor bin, in die Klapse eingewiesen zu werden. Oder aber das dieses Mädchen, den Fremden so liebevoll umarmt hat. Dabei kenne ich ihn doch überhaupt nicht. Trotzdem spüre ich einen messerscharfen Stich in meiner Brust, wenn ich an die beiden denke.
    Ich drehe schon durch!
Ich habe überhaupt kein Recht, wütend zu sein. Trotzdem bin ich es und mein Zorn wird immer wieder neu geschürt. Im Haus gegenüber ist es jetzt stockdunkel. Niemand ist mehr zusehen.
    Habe ich mir alles tatsächlich nur eingebildet? Ist es so? Habe ich bereits Halluzinationen? Bin ich mittlerweile schon so weit, dass ich Traum und Wirklichkeit nicht mehr voneinander unterscheiden kann? Meine Augen       wandern weiter, das Motorrad steht unberührt am Straßenrand. Keine Einbildung, ich träume nicht. Meine Beine fühlen sich taub an. Mein ganzer Körper ist eiskalt, ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Einen Moment überlege ich auf dem Fensterbrett zu bleiben, damit ich die Straße weiterhin beobachten kann, entscheide mich dann doch dafür wieder schlafen zu gehen. Schnell schließe das Fenster und lege mich wieder ins Bett.
    Die Bettdecke ziehe ich mir bis unter das Kinn und schließe meine Augen. Die Gedanken an den Fremden      lassen mich nicht los. Als hätte er sich in meinen Kopf eingebrannt, kann ich nur noch an ihn denken. Das ist mir noch nie passiert. Ich habe keine Ahnung, was eben geschehen ist. Es fängt wieder stärker an zu regnen. Ich habe keine Chance der Müdigkeit zu entkommen, der Schlaf hüllt mich ein und lässt mich nicht mehr los. Wieder höre ich diese Stimme. Sie verschlingt mich.
     
     
    Hör gut zu, mein Kind,
    schlaf nun ein, geschwind.
    Halt dich fest, gib gut Acht,
    bis zum Morgen du erwachst.
     
    Du wirst sehen, heute Nacht,
    wie der Engel dich bewacht,
    Lauf schnell weg, lauf ins Licht,
    bevor er zeigt, sein wahres Gesicht.
     
    Wenn er öffnet, seine Schwingen,
    dieses Lied, er wird singen,
    halt dich fest, gibt gut Acht,
    schlaf mein Kind, gute Nacht.
     
     
    Meine Großmutter Sofia starb einen Tag nach meinem siebten Geburtstag. Sie starb genauso, wie es sich die meisten Menschen wohl wünschen würden. In Kreise ihrer Liebsten. Ich erinnere mich an meine Mutter, die in     ihrem Bett lag und ihr das pechschwarze Haar aus dem Gesicht strich, während sie dabei das Wiegenlied von Brahms summte. Dieses Schlaflied hatte Tradition in meiner Familie. So wie meine Mutter es mir immer wieder    vorgesungen hatte, so hatte meine Großmutter, es ihr all die Jahre vorgesungen. Mein Vater und Leah stehen am Bettende, während ich etwas abseits gegen die Wand lehne.  Ich kann nicht sagen, dass es ein schöner Tod war. Ich meine, alleine die Tatsache den Tod als schön zu bezeichnen, ist schon ziemlich krank. Aber ich rede mir ein, dass meine Großmutter friedlich und ohne Schmerzen gestorben ist. Kurz bevor sie aufhörte zu atmen, winkte
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