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Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen

Titel: Abdahn Effendi. Kleinere Erzählungen
Autoren: Karl May
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stets zwischen dem Scheik und Ali Ben Masuhl, welcher, wie verabredet worden war, auf der isabellfarbenen Stute saß, und unterhielt sich mit ihnen, so gut es eben bei der dichten Verhüllung ging. Später erfuhr ich von dem Scheik, daß es nur kurze Fragen und kurze Antworten gewesen waren, aber von heiligem, edlem Klange. Wenn wir einmal anhielten und ich einen Blick auf Ben Masuhl bekam, fiel mir das tiefe, schwärmerische Leuchten seines Auges auf. Weil diese drei zusammenhielten, war ich auf meinen Halef angewiesen, doch gönnte ich den beiden Männern unsere herrliche Merhameh von ganzem Herzen gern. Ihr Diener kam mit einer kleinen Schar von Münazah, bei denen sich drei Älteste befanden, hinterher. Diese drei sollten sich an der Friedensbesprechung mit dem Scheik der Manazah beteiligen.
    Der in der Atmosphäre schwebende Sand belästigte unsere Pferde so sehr, daß wir darauf verzichten mußten, das eigentliche Ziel unseres heutigen Rittes zu erreichen. Es wurde beschlossen, die Nacht beim Grabe eines muhammedanischen Heiligen zuzubringen, welches fast genau an der Grenze zwischen den Gebieten der beiden Stämme lag, und zwar in einem kleinen Wäldchen, in dem man einigermaßen Schutz vor dem Wetter finden konnte. Es war am späten Nachmittag, als wir die Gegend, in welcher das Grab lag, erreichten. Wir konnten es nicht von weitem sehen. Wir befanden uns in einer vielgewundenen Felsenschlucht, und als wir um eine dieser Windungen bogen, stand es ganz plötzlich vor uns, zweihundert Schritte entfernt, eine enge Tür, vier weißgetünchte Mauern, ein plattes Dach darauf und im Innern nichts, als nur die kahlen Wände. Auf beiden Seiten und hinten wurde es von spärlichen Sykomoren, Schwarzhölzern und dürrem Gestrüpp eingefaßt. Wir lenkten nach ihm ein. Das Gebäude bot uns Unterkunft für Merhameh, und wir Männer fanden wohl im Wäldchen alle Platz. Der Scheik, Ben Masuhl und Merhameh ritten auch jetzt voran. Wir sahen keinen Menschen. Da aber trat aus der Tür des Grabes eine hohe, männliche Gestalt mit einem Gewehre in der Hand. Die hob den Arm und rief uns entgegen:
    »Seid gegrüßt, ihr Münazah! Sei gegrüßt, Omar Ben Amarah, du Mörder meines Bruders! Ich bin Hassan Ben Masuhl, der Scheik der Manazah, und fordere deine Seele. Drauf, ihr Krieger, drauf! Fangt sie lebendig, alle, alle!«
    »Halt, halt! Du irrst!« rief ich ihm schnell zu.
    Aber schon hatte er sein Gewehr angelegt, der Schuß krachte, und der, den er für den Scheik der Münazah hielt, weil er auf der Isabella saß, bekam einen Ruck, warf die Arme in die Luft und glitt vom Pferde. Zu gleicher Zeit kam hinter dem Wäldchen, wo sie versteckt gewesen war, eine Schar von wohl sechzig Reitern hervor, die uns umzingelten. Zu einem Kampfe aber kam es nicht, denn es fiel keinem von uns ein, sich zu wehren. Es gab weiter nichts als ein ungefährliches, schnell vorübergehendes Gewühl; dann hielt ein jeder still auf seinem Pferde. Die Feinde waren überrascht von unserer Ruhe. Ihr Anführer kam herbei, ganz ebenso überrascht. Der Scheik der Münazah ritt ihm einige Schritte entgegen, warf sich die Kapuze aus dem Gesicht und fragte:
     

    »Halt, halt! Du irrst!« Aber schon hatte er sein Gewehr angelegt, der Schuß krachte, und Ali Ben Masuhl sank vom Pferde…
     
    »Deine Kugel galt wohl mir?«
    »Du, du?« rief der unglückliche Schütze betroffen. »Omar Ben Amarah! Du lebst?«
    »Ich lebe noch! Bitte Allah, daß auch dieser lebt! Geh hin, und schau ihn an!«
    Er deutete auf den Verwundeten, der vom Pferd geglitten war und an der Erde lag. Ich kniete schon bei ihm und öffnete ihm den Mantel, die Jacke und die Weste. Die Augen waren geschlossen. Die absolut tödliche Wunde lag in der Nähe des Herzens. Sie blutete nicht.
    »Mein Bruder, mein Bruder!« schrie der Scheik der Manazah, als er sah, wer es war, auf den er geschossen hatte.
    Er wollte sich auf ihn werfen; ich aber schob ihn zurück und befahl:
    »Schweig! Jammere nicht! Und rühre ihn nicht an! Du hast nur allzu gut getroffen. Raube ihm nicht die letzten Augenblicke, die ihm noch bleiben! Folge uns! Komm, Halef, faß mit an!«
    Halef war der Einzige, auf dessen Geschicklichkeit ich mich verlassen konnte. Er sprang vom Pferde. Wir nahmen den Verletzten vorsichtig auf und trugen ihn in das Innere des Grabes. Dort legten wir ihn nieder. Die Kugel war ihm durch und durch gegangen. Am Rücken floß Blut. Sein Bruder folgte, zusammengebückt wie ein Träumender. Hinter ihm kam der
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