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Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt

Titel: Abby Lyne 01 - Verbannt ans Ende der Welt
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schwöre ich Ihnen. Und wenn ich betteln gehen müsste!«
    Jonathan Walpole schaute sie an und für einen kurzen Augenblick trat so etwas wie Mitgefühl in seine Augen. Doch im nächsten Moment war dieser Ausdruck schon wieder verschwunden.
    »Ich bin kein Unmensch, Abby. Und ich habe deiner Mutter vier Wochen lang Kredit eingeräumt, wie ich das bei all meinen Stammkunden zu tun pflege«, sagte er nun geschäftsmäßig.
    »Doch länger als vier Wochen schreibe ich nicht an. Und Ausnahmen gibt es bei mir nicht!«
    Nicht, dass er ein schlechter, hartherziger Mensch gewesen wäre. Doch er hatte nun einmal seine Prinzipien, von denen er nicht abrückte. Es waren harte Zeiten, gewiss, doch wer sich vom Elend zu sehr rühren ließ, lief Gefahr, über kurz oder lang auch zum großen Heer der Bedürftigen zu zählen, die London überschwemmten.
    Abby spürte die ungehaltenen Blicke der beiden Frauen. Sie hielten sichtlichen Abstand, als wollten sie zum Ausdruck bringen, dass sie mit einem bettelnden Mädchen nichts zu tun haben wollten. Armut war wie eine hässliche ansteckende Krankheit, der man am besten dadurch vorbeugte, dass man ihr aus dem Weg ging und sie dort ignorierte, wo man ihr wider Willen begegnete.
    In ihrer Verzweiflung suchte Abby nach Worten, die Jonathan Walpole doch noch umstimmen könnten. Doch es wollte ihr nichts Überzeugendes in den Sinn kommen, und so schaute sie ihn nur hilflos an.
    »Steh hier nicht im Laden herum. Du hast gehört, was ich gesagt habe. Versuche dein Glück anderswo, Abby«, sagte der Bäcker unbeugsam und fuhr dann seine Frau vorwurfsvoll an: »Wir haben Kundschaft! Seit wann ist es unsere Art, zahlende Kunden warten zu lassen?«
    Abby sah, wie der Bäckersfrau das Blut ins Gesicht schoss, wandte sich beschämt ab und stürzte aus dem Geschäft in die schneidende Kälte des Morgens. Sie hätte weinen mögen.
    Warum hatte der Bäckermeister das Kuchenblech auch gerade in dem Augenblick bringen müssen? Nur eine Minute später, und sie wäre mit dem schweren, knusprig-frischen Brotlaib schon auf dem Heimweg gewesen. Was nun?
    Abby wusste sich keinen Rat und lief ziellos durch die belebten Straßen und Gassen. Sie konnte unmöglich mit leerem Korb nach Hause kommen. Doch wer würde ihr noch etwas geben? Ihre Mutter hatte weder Verwandte noch Freunde, die ihnen hätten beistehen können. Und in den anderen Geschäften des Viertels gab man ihr schon seit Wochen keine Lebensmittel mehr auf Kredit. Charlotte Walpole war ihre letzte Hoffnung gewesen.
     

Drittes Kapitel
     
    Müde und hungrig setzte sie sich schließlich am Rande des Marktes neben einem Torbogen auf einen hüfthohen Steinsockel. Den Korb auf dem Schoß und die Arme darüber verschränkt. Der schneidende Wind hatte sich gelegt und eine blasse, kraftlose Sonne stand über der Stadt an der Themse. Ein Schwarm Tauben kreiste über den Häuserdächern und ließ sich dann mit lautem Flügelschlag auf einer Regenrinne nieder.
    Gurrend blickten sie auf das lärmende Treiben hinunter.
    »Was bleibt mir anderes als das Betteln«, dachte Abby, während sie den einbeinigen Bettler mit dem von Pockennarben entstellten Gesicht beobachtete. Er saß ihr schräg gegenüber auf dem kalten Straßenpflaster vor der Taverne The Fox and Bull und bat die Vorübergehenden um eine milde Gabe. Seine Stimme drang nicht bis zu ihr herüber, doch sie sah die Bewegungen seiner Lippen. Aber nicht einer warf ihm etwas in die knöchrigen, ausgestreckten Hände.
    Es bevölkerten einfach zu viele Bettler die Straßen von London. Zehntausende. Und um jeden guten Platz wurde erbittert gekämpft. Auch unter dem Abschaum der Straße gab es Könige, die das Leben in der Gosse und in den Elendsvierteln mit gnadenloser Härte bestimmten. Sie schickten Banden von Taschendieben auf Beutezug aus und kontrollierten mit eiserner Hand das abscheuliche Geschäft mit den Straßenmädchen, die oftmals noch im Kindesalter waren. Einige von diesen »Königen des Elends« herrschten über Armeen aus hunderten von Bettlern. Gehörte man nicht zu den großen, organisierten Bettlerbanden, hatte man kaum eine Chance, sich auf der Straße zu behaupten.
    Tiefe Niedergeschlagenheit erfasste Abby. Arbeit gab es für sie keine. Und angenommen, sie würde sich zu den anderen Bettlern gesellen und von ihnen auch geduldet werden: Wer würde ihr schon etwas geben? Charlotte Walpole hatte Recht.
    Sie war noch längst nicht tief genug gesunken, um Mitleid zu erregen. Dafür zählte
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