999 - Der letzte Wächter: Roman (German Edition)
erst einmal vorbei.« Er lächelte.
»Ja, ich weiß«, sagte Giacomo, »ich meine ja nur. Ich weiß, es würde nichts nutzen. Aber du wirst sehen, dies ist erst der Anfang. Zum Glück sind wir nicht in Deutschland – andererseits ist es hier auch nicht besser –, unsere Meinungsmacher äffen die germanische Propaganda ja beinahe wortwörtlich nach. Apropos, wie ist denn gestern das Treffen mit dem Konsul verlaufen?«
»Dr. Wolf war sehr freundlich, und er hat die Bücher, die ich ihm gebracht habe, sehr zu schätzen gewusst. Speziell die seltene Ausgabe von Manuzio, die Hypnerotomachia Poliphili .«
»Eine äußerst wertvolle Ausgabe, da hat er wirklich einen hervorragenden Kauf getätigt.«
»Es ist nicht einfach, in der heutigen Zeit jemanden zu finden, der bereit ist, für ein Buch 25.000 Lire zu bezahlen.«
»Ja, das ist wahr, aber dieser Text ist weit mehr wert.«
Widerwillig machte Giacomo de Mola Anstalten zu gehen, wohl wissend, dass er die angenehme Kühle der Buchhandlung leider verlassen musste. Die dicken Steinmauern hielten die Temperatur das ganze Jahr über fast konstant. Dies garantierte nicht nur einen optimalen Erhalt der wertvollen Bücher und antiken Manuskripte, sondern auch ein perfektes Verkaufsklima: Die Kunden der Buchhandlung waren das ganze Jahr über angenehm geschützt vor der klirrenden Winterkälte oder – so wie in diesen Tagen – der beinahe unerträglichen Sommerhitze.
Als Giacomo ins Freie trat, erstickte ihn eine Welle drückender feuchtwarmer Hitze wie eine aufdringliche Umarmung. Der elfenbeinfarbene Panamahut schütze Giacomo kaum vor den Sonnenstrahlen, und er grinste schadenfroh, als er zwei Schläger der Miliz sah, die in schwarzen Hemden, dunkelgrauen Hosen und hohen Stiefeln steckten, auf dem Kopf einen Fez. Obwohl sie recht aufgeblasen wirkten, war er sich sicher, dass sie unter diesen Temperaturen wesentlich stärker litten als er und dass sie ihn um seinen hellen Leinenanzug beneideten.
Für das alljährliche Treffen, das im de’-Pulci-Turm der Georgofili-Akademie stattfand, war er bereits zu spät, deshalb schritt er schneller aus. Wie so oft in der letzten Zeit dachte Giacomo de Mola im Gehen an Giovanni und an ihren gemeinsamen Weg, der seinen Anfang genommen hatte, als er ihn aus dem Waisenhaus geholt und ihn zur Ausbildung ins Jesuitenkolleg nach Livorno geschickt hatte. Der Junge schloss mit Bestnote ab. Seine wache Intelligenz und Giacomos Beziehungen ermöglichten ihm schließlich, in Paris an der Sorbonne zu lernen. Auch sein Studium der Geisteswissenschaften und der italienischen Literatur schloss Giovanni mit Auszeichnung ab.
Giacomos beinahe väterlicher Stolz wurde jedoch geschmälert durch ein unbestimmtes Gefühl, dem Jungen nicht voll vertrauen zu können. Obwohl sie bereits seit über zehn Jahren zusammenarbeiteten und sich besser kannten als manche Ehepaare, ließ Giovanni ihn einfach nicht in sein Inneres blicken. Das mochte an dessen angeborener Zurückhaltung liegen oder in seinen schlimmen Erfahrungen als Waisenkind begründet sein. Die unsichtbare Barriere zwischen ihnen hatte Giacomo jedenfalls bis zum heutigen Tag davon abgehalten, den Jungen in alle Geheimnisse einzuweisen – die wichtigsten hielt er nach wie vor zurück. So lange, bis Giovanni reif genug dafür wäre. Früher oder später wäre es so weit, versicherte sich Giacomo, denn er hatte mit dem Jungen eine gute Wahl getroffen. Weil er keine eigenen Kinder hatte, würde er Giovanni adoptieren. Und dann, wenn er sein Sohn geworden wäre, würde er ihm auch die letzten – und wichtigsten – Geheimnisse offenbaren.
Vielleicht würde sich dies alles sogar noch in diesem Jahr einrichten lassen, denn Giovanni stampfte bereits wie ein junges Pferd im Stall, das bereits Witterung aufgenommen hatte und in Richtung Wettkampf-Piste strebte.
Giovanni Volpe blieb allein in der Buchhandlung zurück. Er wartete, bis die letzten Kunden gegangen waren, und schloss dann sorgfältig Kasse und Ladentür ab. Vor dem Spiegel blieb er kurz stehen und betrachtete nachdenklich sein durchschnittliches Gesicht, das nur durch das leuchtende Rot seiner Haare Aufmerksamkeit erregte. Dann ging er zum Telefon und bat die Vermittlung um ein R-Gespräch. Nannte eine Nummer in Rom. Ja, bitte, schnell. Der Empfänger akzeptiert? Sehr gut, bitte stellen Sie mich durch.
»Herr von Mackensen?«
»Ja, Herr Volpe?«
»Wie geht es Ihnen?«
»Sehr gut, danke, aber sprechen Sie bitte
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