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9 Stunden Angst

9 Stunden Angst

Titel: 9 Stunden Angst
Autoren: Max Kinnings
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unter Kontrolle. Nur einmal wäre es beinahe zur Katastrophe gekommen. Ein Fahrgast war im U-Bahnhof Elephant & Castle mit einem Messer Amok gelaufen, woraufhin die ganze Station gesperrt worden war. Georges Zug hatte fast eine Stunde im Tunnel festgesteckt.
    Das Unbehagen war in Wellen gekommen, und jede Welle hatte sich ein kleines bisschen höher aufgebäumt als die letzte und ein kleines bisschen länger gebraucht, bis sie brach. Wenn seine Klaustrophobie zuschlug, wusste er, dass der einzige Ausweg darin bestand, sich zu bewegen. Für einen U-Bahn-Fahrer gab es nur zwei Fluchtwege: entweder durch die sogenannte J-Tür zwischen Fahrerkabine und Fahrgastbereich oder durch die M-Tür an der Spitze des Zuges, die auf die Schienen hinausführte. In welche Richtung er auch floh, es bedeutete das sichere Aus seiner Laufbahn als U-Bahn-Fahrer, das war ihm bewusst. Doch während der letzten Minuten seines Martyriums war ihm dies immer als kleineres Opfer erschienen. Endlich hatte die Leitstelle die Strecke wieder freigegeben, und er war gerettet gewesen. Noch nie hatte er beim Anblick eines grünen Signals solche Erleichterung empfunden. Schwitzend, hyperventilierend, aber unversehrt, hatte er seine Fahrt fortgesetzt.
    Er wusste, wie lächerlich das Ganze war. Kennt ihr den Witz von dem U-Bahn-Fahrer, der an Klaustrophobie leidet? Ha, ha, ha. George fand seine Phobie gar nicht witzig, zumindest nicht heute, am heißesten Tag des Jahres.
    06.58 Uhr
    Highfield Road, South Wimbledon
    Simeon saß auf dem Rücksitz des Autos, das vor dem Haus des Zugführers geparkt war, und grübelte immer noch darüber nach, warum Tommy seinen Plan eine Woche zu früh gestartet hatte. Wenn es nur eine Übung war, warum warteten sie dann hier auf den Fahrer? Es könnte doch sein, dass er diese Woche eine ganz andere Schicht hatte. Wie auch immer die Antwort auf seine Fragen lautete, Tommy rückte nicht damit heraus. Wenn er in dieser Stimmung war, wurde man unmöglich schlau aus ihm. Dann ließ er einen auflaufen und gab nur sein übliches rätselhaftes Gequatsche von sich.
    Als Tommy ihn kurz nach Mitternacht geweckt hatte, war Blut an seinem Ärmel gewesen. Simeon hatte ihn natürlich gefragt, von wem es stammte und was zum Teufel hier eigentlich los war, doch Tommy hatte nur geflüstert, dass sie nach London aufbrechen und er ihm alles später erklären würde. Simeons Unbehagen war durch Bruder Alistairs Schluchzen noch verstärkt worden, aber er hatte keine Gelegenheit gehabt, Nachforschungen anzustellen, sondern in aller Eile seine Sachen gepackt und sich mit Tommy und Belle auf den Weg gemacht.
    Belle wollte ihm weismachen, dass es sich nur um einen Probedurchlauf handelte. Während Tommy vor der Farm die Ausrüstung in den Kofferraum geladen hatte, war Simeon auf dem Rücksitz zu ihr gerückt, um sie zu fragen, was der überhastete Aufbruch sollte.
    »Nur eine Übung«, hatte sie beiläufig geantwortet, und bevor er ihr weitere Fragen stellen konnte, hatte Tommy schon auf dem Fahrersitz gesessen, und sie waren schweigend aufgebrochen. Vom Rücksitz aus hatte Simeon Tommys Gesicht im Rückspiegel beobachtet. Der Blick des jungen Mannes war geradeaus auf die schmale Straße gerichtet gewesen, die sich im Licht der Scheinwerfer durch die Berge schlängelte. Er schien mit seinen Gedanken ganz weit weg gewesen zu sein.
    Auf der M4 hatte Tommy ihm und Belle geraten, ein wenig zu schlafen. Simeon hatte es mit seiner Fragerei nicht zu weit treiben wollen, aber dennoch einen weiteren Versuch unternommen: »Wir starten die Aktion also früher? Oder ist das wirklich nur eine Übung?« Tommy war seinem Blick im Rückspiegel begegnet, und Simeon hatte an den Lachfalten um seine Augen erkannt, dass er grinste. Der Bastard schien die Situation richtig zu genießen. Er machte sich gar nicht erst die Mühe, Simeons Frage zu beantworten, sondern lächelte nur weiter vor sich hin.
    Während sie nun im Auto vor dem Haus des Zugführers saßen und warteten, fiel Simeon auf, wie angespannt Tommy und Belle wirkten. Sie verhielten sich ganz und gar nicht so, als handele es sich nur um einen Probedurchlauf. Tommy war wachsam und hoch konzentriert, während Belle ihren Bruder beobachtete und auf ihren Einsatz lauerte. Erneut sah sich Simeon gezwungen, das Wort zu ergreifen.
    »Wir ziehen es also heute durch?« Er versuchte, möglichst erwartungsfroh zu klingen, aber er war noch nie ein guter Schauspieler gewesen. In der Schule hatte er sich vor jedem
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