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47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

Titel: 47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Autoren: Joan D. Vinge
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ging in die Hocke und nahm den Zweig eines Strauchs näher in Augenschein.
    Als sie gerade seinen Namen aussprechen wollte, um ihn zu überraschen, hob er plötzlich die Hand und flüsterte: »Halt!«
    Verwirrt schloss sie den Mund und kauerte sich neben ihm hin. Er hob den Zweig auf, den er betrachtet hatte. »Schsch! Schau mal – was siehst du?«
    Sie starrte den Zweig an. »Einen Ast«, erwiderte sie enttäuscht das Offensichtliche.
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf und zeigte ihr die Stelle, an der der Zweig gebrochen war. »Das war ein Reh. Es ist dort hingelaufen.« Er wies auf einen Punkt etwas weiter entfernt auf dem Gipfel des Hügels. Er hob den Kopf, und sein Blick richtete sich auf etwas, was sie nicht sehen konnte. »Es versteckt sich ... in diesem Dickicht.«
    Als habe es Kais Blick gespürt, sprang in der Ferne ein Reh aus dem Unterholz und verschwand im Wald.
    Mika sah ihm nach und lächelte angesichts der Anmut seiner mühelosen Sprünge, bis sie es nicht mehr sehen konnte. Die unheimliche Verbindung zwischen Kais Geist und denen der Kreaturen des Waldes erinnerte sie an das Qi, die mystische Energie, die das Universum erfüllte und alle Dinge einte, angefangen vom unbedeutendsten Stein bis hin zum Reich der Götter.
    Seit sie klein war, hatte sie Folianten und Schriftrollen studiert, die sich mit den heiligen Glaubenssätzen des Shintō und des Buddhismus befassten, aber sie hatte sie immer nur als endlose Seiten von Text begriffen, die mühselig abgeschrieben werden mussten, nicht mehr. In Kais Gesicht, das so vertraut und doch auf eine subtile Weise anders war, dass sie es selbst nicht benennen konnte, hatte sie eine Schönheit gefunden, die sie nie zuvor gesehen hatte. Seine Augen verrieten eine Weisheit, die ihr magisch erschien und die sie im Blick keines anderen Menschen je gesehen hatte.
    In der Burg Ako tuschelten noch immer einige Leute darüber, dass Kai nicht menschlich sei – aber wenn sie das wussten, wie konnten sie dann nicht sehen, dass er ein
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war, der unter ihnen wandelte, und kein Dämon? Die Erwachsenen sprachen endlos bei Tee oder Sake über die Erleuchtung und wie man sie erreichte, und beauftragten dann einen himmlischen Boten, der unter ihnen war, die Hundezwinger zu säubern!
    Kai hatte diese Aufgabe demütig angenommen, ohne zu klagen. Und anstatt Angst vor den Hunden zu haben, hatte er das Revier eines Packs von knurrenden, halbwilden Bestien betreten – vor denen sie selbst vernünftigerweise Angst hatte – und hatte sie in gut erzogene Tiere verwandelt, die ihn mit freudigem Bellen und wedelnden Schwänzen begrüßten.
    Plötzlich brannten ihre Augen, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten.
Das war nicht richtig. Das war nicht richtig
– Sie blinzelte schnell und senkte den Blick, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte.
    Dann sah sie zu Kai auf, der sie neugierig anblickte – und diesmal nicht den Kopf abwandte, wie er es gewöhnlich tat. Sein Blick hielt den ihren, als habe er darin etwas entdeckt – ihre Ehrfurcht, ihr Erstaunen, ja, einen Abglanz der überirdischen Schönheit, die sie in seinem Gesicht und in seiner Seele erblickt hatte – und schenkte ihr denselben Blick.
    Plötzlich senkte er die Augen wieder und hielt den Kopf gebeugt. Besorgt biss sie sich auf die Unterlippe, bis sie bemerkte, dass seine Hand im Gras nach etwas suchte. Er hob eine Haarnadel auf, die ihr heruntergefallen war. Es war ihre Lieblingsnadel, ein aus Elfenbein geschnitzter Pfeil, der mit Falkenfedern befiedert war.
    Er hielt sie ihr auf der offenen Handfläche entgegen. Als sie die Nadel nahm, schlossen sich ihre Finger um die seinen und hielten sie fest. Genau in diesem Augenblick erklangen vom Fuß des Hügels die Stimmen ihrer Kinderfrauen, die verzweifelt ihren Namen riefen.
    Der Augenblick löste sich in Luft auf, wie ihr Bild in seinen Augen. Sie nahm ihm die Haarnadel aus der Hand und steckte sie in ihre Frisur. Enttäuschung und Ärger standen in ihrem Gesicht geschrieben.
    Hastig standen sie beide auf und strichen sich die Grashalme von den Kleidern. Sie wandte sich ab und wollte schon den Hügel hinablaufen, bevor eine ihrer überstrapazierten Dienerinnen vor Sorge umfiel oder einen Herzanfall erlitt.
    Während sie sich umdrehte, sah sie, wie sich ihre eigene Enttäuschung in Kais Gesicht widerspiegelte – und erkannte die tiefe Einsamkeit, die in seinen Augen verborgen lag.
    Spontan wandte sie sich ihm wieder zu und küsste ihn. Dann, zu schnell, als dass
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