Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
19 - Am Jenseits

19 - Am Jenseits

Titel: 19 - Am Jenseits
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Herz ausschüttete. Sie pflegte ihm den Turban wieder auf die richtige Stelle zu rücken. Als ich mich einmal umdrehte, sah ich, daß er, neben dem Tachterwahn reitend, sehr angelegentlich mit ihr sprach. Seine Gesten waren dabei äußerst lebhaft; er schien seinen Standpunkt verteidigen zu müssen, also war anzunehmen, daß sie zu meinen Gunsten sprach. Nach einiger Zeit lenkte er sein Hedschihn wieder an die Seite des meinigen, doch sagte er noch nicht gleich etwas, denn die Strafpredigt, welche er mir vorhin gehalten hatte, war so energisch gewesen, daß es ihm jetzt nicht leicht wurde, in Freundlichkeit wieder einzulenken. Er hustete; er räusperte sich wiederholt; endlich begann er:
    „Sihdi, denkst du noch an eure Eisenbahnen?“
    „Nein“, antwortete ich.
    „Aber du scheinst doch so tief in Gedanken zu stecken. Darf ich erfahren, was für welche es sind?“
    „Ich denke an die Unzuverlässigkeit der Freundschaft.“
    „Das geht natürlich auf mich?“
    „Ja.“
    „Meine Freundschaft ist gar nicht unzuverlässig; aber sie kann sich nicht gut an die Wagen bei euch gewöhnen, in denen Frauen, Mädchen und fremde Männer beisammensitzen. Das Allerschlimmste ist, daß du selbst auch mit dabeigesessen hast!“
    „Glaubst du, daß mir das geschadet hat?“
    „Dir? O nein, gewiß nicht!“
    „Oder den Frauen und Mädchen?“
    „Denen? Gewiß auch nicht, denn du bist ein feiner, ein vornehmer Effendi, der sehr gut weiß, wie er sich zu benehmen hat.“
    „Nun, wenn es weder ihnen noch mir etwas geschadet hat, warum bist du da so erzürnt darüber?“
    „Weil – hm! – weil es sich nicht schickt!“
    „Wer behauptet das?“
    „Ich!“
    „Du? Das genügt mir nicht. Wer noch?“
    „Jeder vernünftige Mann!“
    „So? Ich behaupte aber das Gegenteil, bin also ein unvernünftiger Mensch. Ich danke dir, Halef!“
    „Sihdi, so – so habe ich es nicht gemeint; so darfst du es nicht nehmen! Ich kenne dich ja und ich weiß also, daß grad du so viel Vernunft besitzest, daß sie für zehn andere Personen mehr als ausreichen würde. Dich habe ich am wenigsten beleidigen wollen!“
    „Nun, wenn ich eine so bedeutende Portion von Vernunft besitze, so bin ich wohl auch befähigt, über unsere Eisenbahnen zu urteilen. Ich nehme an, daß du mit Hanneh darüber gesprochen hast?“
    „Ja.“
    „Was sagte sie?“
    „Ich erzählte ihr, was ich über eure Eisenbahnen von dir gehört hatte, und fragte sie nach ihrer Meinung.“
    „Nun? Wie lautete diese?“
    „Sihdi, ich kann dir fast nicht wiedersagen, was ich aus dem Munde meiner Hanneh hörte, welche doch der Inbegriff der Zusammenfassung aller weiblichen Klugheit ist. Sie gab dir nämlich recht!“
    „Das dachte ich!“
    „Wirklich? Du dachtest es? Warum? Ich dachte es nicht!“
    „So scheine ich deine Hanneh besser zu kennen als du. Sie will nicht, wie andere Frauen des Orients, nur die willenlose Spielpuppe ihres Mannes sein, die er vor andern Leuten nicht sehen läßt!“
    „Spielpuppe! Sonderbar! Ganz genau dasselbe sagte sie auch! Sie fragte mich, ob sie nur mein Dschidschi (Spielzeug) oder meine Kukla (Puppe) sei, die kein Mensch sehen dürfe als ich allein. Ja, denke dir, sie drohte mir, nach unserer Rückkehr ein Männerzelt, einen männlichen Harem zu bauen und mich da einzusperren, damit mich keine andere Frau betrachten dürfe. Dann sprach sie sogar von einer ‚ganz armseligen Haremswirtschaft‘, welche eine große und ganz unverzeihliche Beleidigung aller Frauen sei!“
    „Da hat sie recht!“
    „Recht? Sihdi, willst du haben, daß Hanneh eine Revolution gegen mich unternimmt?“
    „Nein; ich gebe ihr nur recht; was sie macht, das ist ihre Sache.“
    „Ich wollte das, was sie eine Beleidigung aller Frauen nannte, nicht einsehen; da erklärte sie es mir.“
    „Und dann begriffst du es?“
    „Du scheinst wieder einmal alles vorherzuwissen, ehe ich es dir sage! Und es ist ja auch wahr: Hanneh, die schönste Blume im Garten meiner Glückseligkeit, hat eine ganz eigene, eine ganz besondere Weise des Erklärens; sie bringt nämlich keine anderen Gründe, als solche, denen man nicht widerstehen kann. So brachte sie mir auch jetzt zwei Beispiele, mit denen sie mich so überwältigte, daß ich wirklich nicht wußte, was ich weiter sagen sollte.“
    „Darf ich erfahren, was für Beispiele das waren?“
    „Es war die Rose und die Retschina fena (Teufelsdreck); denke dir!“
    Ich mußte über diesen kräftigen Vergleich der guten Hanneh
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher