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18 Gänsehaut Stories

18 Gänsehaut Stories

Titel: 18 Gänsehaut Stories
Autoren: Manfred Kluge
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schnell da­hin. Wenn über­haupt, dann muß­te ich so­fort han­deln, ehe das ers­te Licht des Mor­gen­grau­ens die Geis­ter der Nacht ver­trieb, und viel­leicht blieb mir dann gar kei­ne Kraft mehr, noch zu han­deln.
    »Was«, sag­te ich mir, »wird nach wei­te­ren vier­und­zwan­zig Stun­den Er­schöp­fung aus mir ge­wor­den sein? Wer­de ich dann noch die Kraft ha­ben, die Wahl zu tref­fen, was ich will und was ich nicht will? Nein, noch ein­mal vier­und­zwan­zig Stun­den Ent­kräf­tung wer­de ich wahr­schein­lich nicht über­le­ben.«
    Dies war es, was für mich den Aus­schlag gab. Mit äu­ßers­ter Vor­sicht und auf Ze­hen­spit­zen nä­her­te ich mich er­neut je­ner Schlaf­zim­mer­tür, die ich spalt­breit ge­öff­net hat­te.
    Dies­mal zö­ger­te ich nicht mehr, son­dern über­quer­te so­fort die Schwel­le und sah mich um. Es war die Schlaf­kam­mer der jün­ge­ren Toch­ter mei­ner Wir­tin, die nach mei­ner Schät­zung et­wa sech­zehn Jah­re alt war. Wohl auf­grund mei­ner schreck­li­chen Er­schei­nung wa­ren mir die Töch­ter so­weit wie mög­lich aus dem Weg ge­gan­gen, so daß ich mir noch gar kein ge­nau­e­res Ur­teil über ihr Al­ter und ihr Aus­se­hen hat­te bil­den kön­nen.
    Ich wuß­te nur, es war die jün­ge­re, denn sie trug ihr Haar lang, und sie trug es in Lo­cken, die lo­se über das Kis­sen fie­len, auf wel­chem sie schlief, wäh­rend ih­re äl­te­re Schwes­ter, wie ich be­merkt hat­te, ihr Haar glatt und vom Nacken aus hoch­ge­steckt trug.
    Ich stand ne­ben dem Bett und sah auf die­ses hüb­sche Mäd­chen her­ab, das in dem gan­zen Stolz sei­ner jun­gen Schön­heit schlum­mer­te. Sei­ne Lip­pen wa­ren ge­teilt, als sä­he es in sei­nem Traum ir­gend­ein an­ge­neh­mes Bild, das es selbst im Schlaf noch lä­cheln ließ. Sie mur­mel­te auch zwei­mal ein Wort, wel­ches ich für den Na­men von ir­gend je­man­dem hielt – viel­leicht das Idol ih­res jun­gen Her­zens –, aber er war zu un­deut­lich aus­ge­spro­chen, als daß ich ihn ver­stand; und es küm­mer­te mich auch nicht, was da viel­leicht ihr ge­hü­te­tes Ge­heim­nis war. Ich leg­te kei­nen wei­te­ren Wert auf ih­re Zu­nei­gung, noch war ich ir­gend­wie ei­fer­süch­tig; bald wür­de sie mich so­wie­so ver­ab­scheu­en und ab­grund­tief has­sen.
    Ei­ner ih­rer zar­ten, ex­qui­sit ge­run­de­ten Ar­me lag auf der Bett­de­cke; auch ihr ala­bas­ter­wei­ßer Hals war teil­wei­se mei­nem Blick aus­ge­setzt, aber ich emp­fand kei­ne Lie­bes­lei­den­schaft – Nah­rung war es, was ich woll­te.
    Ich sprang auf sie drauf. Sie stieß einen gel­len­den Schrei aus, aber nicht, be­vor ich mir einen lan­gen Zug von Le­bens­blut aus ih­rem Hals ge­si­chert hat­te. Der ge­nüg­te mir. Ich spür­te, wie er mir wie Feu­er durch die Ve­nen rann, und ich fühl­te mich so­fort ge­kräf­tigt. Von die­sem Mo­ment an wuß­te ich, was künf­tig mei­ne Nah­rung sein wür­de; es war Blut – das Blut von Zar­ten und Schö­nen.
    Das Haus war so­fort alar­miert und auf­ge­schreckt, aber nicht, be­vor ich mich zu­rück auf mein ei­ge­nes Zim­mer hat­te flüch­ten kön­nen. Ich war nur teil­wei­se an­ge­zo­gen, und je­ne paar Klei­der warf ich ab, stieg in mein Bett und täusch­te vor zu schla­fen. Und als dann der Gent­le­man, der gleich­falls im Haus schlief und von des­sen An­we­sen­heit ich bis da­hin nichts ge­wußt hat­te, laut an mei­ne Tür klopf­te, tat ich so, als wür­de ich er­schreckt er­wa­chen, und rief mit ängst­li­cher Stim­me:
    »Was ist? Was ist? Um Got­tes wil­len, sa­gen Sie mir, steht das Haus in Flam­men?«
    »Nein, nein – aber ste­hen Sie auf, Sir, ste­hen Sie auf. Je­mand Frem­der ist im Haus. Ich glau­be, ein Mord­ver­such ist ge­macht wor­den, Sir.«
    Ich stand auf und öff­ne­te die Tür, so daß er bei dem Licht der Ker­ze, die er in der Hand hielt, se­hen konn­te, daß ich mich erst an­klei­den muß­te; er war selbst nur halb an­ge­zo­gen, un­ter dem Arm trug er sei­nen De­gen.
    »Ei­ne merk­wür­di­ge Sa­che«, sag­te er, »aber ich ha­be ganz deut­lich einen Alarm­schrei ge­hört.«
    »Ich eben­falls«, sag­te ich, »aber ich glaub­te, ich hät­te nur ge­träumt.«
    »Hil­fe! Hil­fe! Hil­fe!« schrie die Wit­we, die
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