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1455 - Das Gewissen des Henkers

1455 - Das Gewissen des Henkers

Titel: 1455 - Das Gewissen des Henkers
Autoren: Jason Dark
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schaute sie mir nach, wie ich auf die Treppe zuging. Erst als ich meinen Fuß auf die erste Stufe gesetzt hatte und langsam hinaufstieg, folgte sie mir.
    Weit brauchte ich nicht zu gehen. Und ich musste auch nicht lange suchen. Der Blick nach links zur Wand zeigte mir, was hier passiert war.
    Dort hatte nur ein Bild gehangen. Jetzt sah ich nur noch den Rahmen und darin ein paar Fetzen Leinwand. Ich ließ die Treppe hinter mir und blieb vor dem leeren Rahmen stehen. Es war niemand da, der mich hätte stören können, und so betrachtete ich mir das, was von dem Gemälde übrig geblieben war.
    Fiona Lester hatte nicht gelogen. Es gab tatsächlich nur den Rahmen. Die Leinwand war verschwunden. Nur ein paar Reste hingen an den Innenseiten fest.
    Sie sahen verbrannt aus, aber von Fiona wusste ich, dass es kein Feuer gegeben hatte, nur Rauch. Zumindest waren ihr keine Flammen aufgefallen.
    Da ich vor dem Bild stand und auch nichts weiter passierte, traute sich Fiona Lester jetzt näher. Sie suchte meinen Blick und sah mein schwaches Lächeln.
    »Glauben Sie mir jetzt?«
    Mein Lächeln verwandelte sich in ein leises Lachen. »Da müssen Sie keine Sorge haben. Wenn ich Ihnen nicht geglaubt hätte, wäre ich nicht mit Ihnen gefahren.«
    »Danke.«
    Ich wies auf den leeren Rahmen. »Hier war das Porträt Ihres Ahnen zu sehen?«
    »Sicher.«
    »Können Sie den Henker beschreiben?«
    Fiona zuckte leicht zusammen. Es schien ihr nicht zu passen, aber sie stimmte mir durch ein Nicken zu.
    »Natürlich kann ich ihn beschreiben. Für mich sah er immer schlimm aus. Schon als Kind habe ich meinen Blick immer abgewandt, wenn ich hier zu Besuch gewesen bin.« Sie hob die Schultern und sprach dabei von einem Gesicht, das ihr immer böse vorgekommen war. Dies galt besonders für die Augen, die sie mir als dunkel und stechend beschrieb. Ich erfuhr, dass der Henker schwarze Haare gehabt hatte, eine wuchtige Nase und einen breiten Mund.
    »Für wen tötete er?«
    »Für die Justiz, denke ich. Oder für die Königin. Er war einer der Henker Ihrer Majestät.«
    »Moment, Fiona. Wen meinen Sie damit?«
    »Queen Victoria.«
    Ich pfiff durch die Zähne. »Dann liegt seine Existenz schon sehr lange zurück.«
    »Ja, das ist richtig. Meine Verwandten haben das Bild ja nicht malen lassen. Auch sie erbten es. Lincoln Lester war der Henker, aber er war sogar noch mehr. Ich glaube, dass mein Onkel ihn mal als einen Söldner bezeichnet hat.« Fiona zeigte eine Spur von Unsicherheit. »Aber damit habe ich mich nie beschäftigt.«
    »Das kann ich mir denken. Man hat ihn anheuern können, denke ich. Söldner sind zwar auch Menschen, aber sie verhalten sich nicht immer so. Sie verkaufen sich an den, der am meisten zahlt. Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben. Moral, Menschlichkeit und auch das Gewissen existieren oft danach nicht mehr. Kämpfen und töten, so lautet die Devise.«
    »Das hatte ich mir schon gedacht.«
    »Ist denn über ihn im Kreis der Familie gesprochen worden?«
    »Nur wenig. Als ich zur Polizei ging, hat mein Onkel gelacht und gemeint, dass wir jetzt alles in der Familie hätten. Die eine Seite ebenso wie die andere, und er sprach auch von einer ausgleichenden Gerechtigkeit.«
    »Und jetzt ist das Porträt verbrannt.«
    »Ja, Mr Sinclair, und ich weiß nicht, warum dies geschah und was da noch auf uns zukommt.«
    Ich schaute Fiona an. »Sie sind nach wie vor davon überzeugt, den Henker gesehen zu haben?«
    Sie nickte. »Seine Gestalt war da. Aber ich habe sie nicht anfassen oder greifen können. Ich habe sie nicht mal gehört, als sie über den Fußboden hier ging. Es war alles so anders. Ich will damit sagen, dass es lautlos passierte.«
    »Sie haben also keinen Menschen gesehen?«
    »Keinen echten, glaube ich.«
    »Und weiter?«
    »Nichts weiter. Er ging. Ich kann Ihnen nicht sagen, was sein Ziel war. Er hat nichts zu mir gesagt. Ich wundere mich jetzt noch dar über, dass er mich nicht angegriffen hat. Ich habe damit gerechnet, dass er mich zu töten versucht.«
    »Hatte er denn eine Waffe?«
    »Nein.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Kein Beil oder so, wenn Sie das meinen.«
    »Sicher, das ist…« Ich hob die Schultern, denn ich stand ebenfalls vor einem Rätsel.
    Fiona sah mir an, dass ich nachdenken musste, und ließ mich mit Fragen in Ruhe. Es war nicht der erste Henker, mit dem ich es zu tun bekam. Es gab einige von ihnen, die in einer engen Verbindung zum Teufel standen. Das hatte ich erlebt und auch
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