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1280 - Der Engel und sein Henker

1280 - Der Engel und sein Henker

Titel: 1280 - Der Engel und sein Henker
Autoren: Jason Dark
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dir keine Schuld an den Vorfällen zu geben.«
    »Aber es ist doch alles meinetwegen passiert, John. Nur meinetwegen. Das musst du…«
    »Sieh es anders. Es war einfach das Schicksal, das zugeschlagen hat.«
    »Du meinst das Schicksal?«
    »Ja, wenn du so willst.«
    »Kann sein«, flüsterte sie. »Aber ich weiß auch, dass ich mit diesem Schicksal kaum zurechtkomme. Ich kann mich damit einfach nicht abfinden. Ich habe versucht, anderen Menschen in schwierigen Situationen beizustehen, aber jetzt brauche ich selbst Hilfe, weil ich mir die Vorgänge nicht mehr erklären kann. Hier läuft etwas ab, das über den menschlichen Verstand hinausgewachsen ist. Und es hängt mit mir zusammen«, flüsterte sie. »Mit mir allein. Mit meiner Vergangenheit. Aber zugleich mit einer Vergangenheit, von der ich nichts weiß. Es sind nicht die Jahre meiner Kindheit und Jugend gewesen. Beileibe nicht. Es muss etwas sein, das davor gewesen ist. Irgendwo weit, sehr weit zurück, John…« Sie hob die Schultern. »Vielleicht in einem anderen Leben - oder?«
    »Ja, das kann sein.«
    Diesmal blickte sie mich erstaunt und auch klar an. »Glaubst du denn daran?«
    »Ich weiß es«, sagte ich.
    Sie zuckte leicht zusammen. »Woher? Woher, John, weißt du es? Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so offen zugibt, dass er…«
    »Weil ich es von mir selbst kenne, Lavinia.«
    »Was?«
    Ich nickte.
    Die Psychologin rang nach Worten. »Dann bist du… ich meine, du bist wieder geboren worden?«
    Meine schlichte Antwort bestand aus einem Nicken. Es war ihr anzusehen, dass ihr weitere Fragen auf der Zunge lagen, aber sie hielt sich zurück und stellte sie nicht. Dazu war jetzt nicht die Zeit.
    Außerdem ging es um sie und nicht um mich.
    Es war ihr anzusehen, dass sie anderen Gedanken nachhing. »Ich fühlte mich jetzt wieder wie ein normaler Mensch«, erklärte sie leise, »aber ich weiß auch, dass es mit der Flucht der beiden Typen nicht vorbei ist. Der Henker ist noch da. Er kann jeden Moment wieder erscheinen und so grausam handeln wie bei Richie.«
    Der Tote lag im Raum. Für uns war er eine makabre Mahnung, damit wir den Angriff aus dem Unsichtbaren keinesfalls unterschätzten. Und doch gab es einige Fragen, die auch Lavinia Kent nicht zurückhielt.
    »Wie geht es jetzt weiter? Hast du dir schon etwas überlegt?«
    Ich lächelte ihr vor meiner Antwort zu. »Ja, das habe ich. Wir werden deine Wohnung verlassen.«
    »Flucht, John?«
    Ich wiegelte ab. »Nicht ganz. Es ist nur eine Sicherheitsmaßnahme, nichts weiter.«
    Plötzlich musste sie lachen. »John, bitte. Glaubst du im Ernst, dass wir diesem Henker entkommen können? Ich glaube das nicht«, erklärte sie mit einer Stimme, die schon wieder etwas schriller klang, weil die Erinnerungen in ihr hochkochten. »Das kann ich nicht glauben, John. Er ist stärker als wir. Er ist uns in allen Belangen überlegen. Er wird uns immer finden. Egal, an welchem Ort der Welt wir uns auch verstecken. Für ihn spielen Entfernungen keine Rolle.«
    »Das sehe ich ein.«
    »Und dann bleibst du noch so ruhig?«
    Diesmal musste ich lachen. »Was soll ich denn machen, Lavinia? Durchdrehen oder in Lethargie verfallen? Nein, wir müssen kämpfen. Wir müssen uns durchbeißen. Es gibt keine andere Möglichkeit. Wir werden uns stellen.«
    Die Psychologin dachte nach. Sie ließ sich meinen Vorschlag durch den Kopf gehen, und als sie zu einem Schluss gelangt war, begann sie leicht zu zittern.
    »Das heißt mit anderen Worten, dass du praktisch auf ihn warten willst?«
    »Stimmt. Ich will mich ihm stellen.«
    Lavinia schloss für einen Moment die Augen. Sie konnte nichts mehr sagen, aber ihr Inneres befand sich in einem Aufruhr. Um wieder Kraft zu schöpfen, verkrampfte sie die Hände ineinander als wollte sie beten. Aber ihre Antwort fiel ganz anders aus, denn sie sagte leise: »Das bedeutet Kampf, nicht?«
    »Genau!«
    Lavinia konnte es noch immer nicht begreifen. Sie blickte mich an wie jemand, der alles nicht wahrhaben wollte. »Mein Gott«, flüsterte sie nach einer Weile, »du willst wirklich gegen die Gestalt aus dem Jenseits oder der Geisterwelt antreten?«
    »Ich muss es tun. Es bleibt mir nichts anderes übrig. Wir können nicht zulassen, dass er mordet. Das geht einfach nicht. Du hast bei Richie gesehen, wie grausam er vorgeht…«
    »Dabei hat ihm der Mann nichts getan.«
    »Klar, aber das interessiert den Henker nicht. Er will zum endgültigen Finale kommen. Und dabei löscht er alles aus, was sich lebend
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