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1231 - Unternehmen Thermoschild

Titel: 1231 - Unternehmen Thermoschild
Autoren: Unbekannt
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diese Phase erreichte, wunderte sich darüber. Denn die psychische Wirkung des Amoktaus hatte ihn in einen tobenden Wahnsinnigen verwandelt.
    Und manche versuchten - unbewußt, verzweifelt - ihrem Schicksal zu entfliehen. Sie rannten und rannten, und ihr beschleunigter Metabolismus versetzte sie in die Lage, vielfach schneller zu rennen als je zuvor.
    Aber Bewegung bedeutete Reibung.
    Reibung bedeutete Wärme.
    Wärme bedeutete Anstieg der Körpertemperatur.
    Anstieg der Körpertemperatur bedeutete Beschleunigung des Metabolismus, der Gedanken, Bewegungen, des subjektiven Zeitempfindens.
    Irgendwann wurde der Wärmestau zu groß. Die gespeicherte Hitze entlud sich, und der Eisige verging in der Explosion der hyperbolischen Zündung.
    Krohn Meysenhart - der neue Krohn Meysenhart, der Eisige mit dem erfrorenen Herzen und der Tiefkühltruhe anstelle einer Seele - wanderte knirschend und klirrend durch die Winterlandschaft der Räume, Gänge und Schächte und betrachtete mit glitzernden Raureifaugen die Welt, die er nicht verstand. Körperlich war er ein ausgewachsener Mann von 123 Jahren, doch geistig und seelisch war er ein Säugling. Er lernte schnell; er begriff vieles sofort; er ahnte manches; spürte anderes instinktiv; er war noch nicht lange genug der metamorphischen Komponente des Psychofrosts ausgesetzt, um sein altes Leben vollständig vergessen zu haben. Es lag unter dem Gletscher seiner neuen Identität begraben; schwer zu erreichen, aber hin und wieder aus eigener Kraft an die Oberfläche seiner Gedanken steigend.
    Er hatte kein Zeitgefühl.
    Er wußte nicht, wie lange er schon durch die fremde Welt gewandert war, als er zum erstenmal das Unbehagen spürte. (Später, wenn er das Reich der Kälte wieder verließ, würde er sich an den Multimedia-Helm erinnern, der mit seinen Augen sah und alles auf winzige Disc-Scheiben speicherte, und der auf die gleiche Weise seine Gehirnaktivität protokollierte, ein Profil seiner Gefühlslage erstellte. Später. Jetzt noch nicht. Jetzt war er der Eisige.) Plötzlich war das Unbehagen da und ließ ihn nicht mehr los. Es sprang ihn an wie ein hungriges Raubtier, und es schlug ihm die Fänge ins eisverkrustete Fleisch.
    Aus dem Unbehagen wurde Schmerz. Der Schmerz nahm zu. Er schnitt wie ein glühendes Messer in sein Herz und sein Gehirn. Und wurde stärker, immer stärker.
    Er sah sie nicht, aber er wußte, daß sie da waren: Feuer. Milliarden Feuer. Fern und nah. Überall. Es gab kein Entkommen. Die Feuer brannten tiefe Wunden, die nur schwer verheilten und nie vernarbten. Die Feuer verwirrten seinen Geist. Sie machten ihn zornig, und er suchte nach einem Objekt, an dem er seinen Zorn abreagieren konnte.
    Dennoch war der Schmerz der Myriaden fernen Feuer nicht das Schlimmste, was ihn in den ersten Stunden seines Daseins als Eisiger heimsuchte.
    Hinter dem Schmerz verbarg sich eine weit grausigere Pein. Sie wartete geduldig, bis er geschwächt war, sie lauerte auf den günstigsten Augenblick, und der Augenblick kam, und die Qual schlug wie eine Springflut über ihm zusammen.
    Zuerst war es nur ein leises Rauschen. Wie Wind im Blätterdach eines großen, finsteren Waldes. Das Rauschen wurde lauter, und je lauter es wurde, desto bösartiger und grausamer wurde die Qual. Sie hatte nichts mit gewöhnlichen Schmerzen zu tun. Sie hatte nichts mit menschlicher Qual zu tun.
    Sie war der wilde, unbändige Pulsschlag der Natur, der Zeit, des Lebens. Sie war eine Kraft, zu groß, um andere Kräfte neben sich zu dulden. Was ihr begegnete, wurde zerschmettert. Was sich ihr in den Weg stellte, wurde zermalmt. Und wer es wagte, sich an ihr zu mästen, wurde mit unvorstellbaren Qualen bestraft.
    Krohn Meysenhart wurde bewußtlos, doch auch in der Ohnmacht konnte er der Pein nicht entfliehen. Instinktiv spürte er, daß es für ihn kein Versteck gab. Er hatte diese Kraft gesehen, und die Kraft hatte ihn gesehen, und von nun an gab es eine Verbindung, die sich nicht kappen ließ. Wohin er sich auch wenden mochte - die Kraft würde bei ihm bleiben. Vielleicht würde sie an Stärke verlieren, aber sie würde ihn niemals ganz aus ihren Klauen entlassen.
    Kaum als Eisiger geboren, hatte Krohn Meysenhart - wie Millionen andere Eisige vor ihm - die Quelle der Qual kennen gelernt.
    Er wußte: Um diese Qual zu beenden, mußte die Quelle versiegen. Und die Qual mußte enden. Sie würde ihn und jeden anderen Eisigen martern, bis der Tod sie erlöste.
    Irgend etwas in seinem Bewußtsein splitterte.
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