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0987 - Das Seelenloch

0987 - Das Seelenloch

Titel: 0987 - Das Seelenloch
Autoren: Jason Dark
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sondern auch einen Teil der Geräusche. Die meisten Menschen fröstelten oder fühlten sich unwohl, wenn sie ein derartiges Gelände betraten. Das war bei Karin nicht der Fall. Sie war eher neugierig, denn noch immer ging sie davon aus, daß man sie erwartete.
    Sie blieb so stehen, daß sich der Bau und auch der Eingang der Kirche in ihrem Rücken befanden.
    Für sie zählten die Gräber, nicht die Kirche. Sie wußte, daß irgendwo auf diesem so leer wirkenden Friedhof jemand war, der auf sie wartete.
    Noch meldete er sich nicht. Aber sie spürte ihn. Die andere Kraft war da. Wie ein nicht sichtbarer Nebel floß er über die Gräber hinweg. Es war kein ER, keine SIE, er war einfach nur ein Neutrum, aber trotzdem war Karin davon überzeugt, daß sie ihn kannte.
    Er kam ihr vertraut vor. Sie hatte mit ihm Kontakt gehabt, und er hatte sie auch hergelockt. Jetzt stand sie da und wartete voller Inbrunst auf sein Zeichen.
    Er gab es nicht.
    Er hielt sich zurück.
    Auch die Gräber schwiegen. In ihnen lagen die Toten. Von den meisten gab es nicht mehr viel. Die Leichen waren längst vermodert. Aber etwas war noch vorhanden. Es schwebte auf jedem Friedhof, wie Karin erfahren hatte.
    Denn der Geist starb nie…
    Die Dämmerung nahm zu. Sie überzog auch den Friedhof. Nahe der Mauer hatten sich die Schatten schon verdichtet. Es sah so aus, als wollten sie die Gräber mit all den Kreuzen und ihrem Schmuck in eine finstere Totenwelt zerren.
    Das Hexerl war nervös wie ein Schüler vor der Prüfung. So ähnlich kam sich Karin auch vor. Sie wußte, daß etwas passieren würde. Nicht grundlos hatte man sie auf das Gelände des Friedhofs gelockt, und wenn er plötzlich da war und sich zeigte, dann wußte sie nicht, wie sie sich verhalten sollte.
    Das Seelenloch kam ihr in den Sinn. Es war schlimm geworden. Es hatte Florian geschluckt. Es würde ihn nie mehr wieder zurückgeben, aber es hatte zugleich für den unheimlichen Austausch gesorgt, denn er lebte wieder.
    Karin fuhr mit der Zungenspitze über ihre trocken gewordenen Lippen hinweg. Fritz Huber hatte ihr viel erklärt, ihr eine Menge beigebracht. Kurz bevor er starb, hatte sie noch mit ihm gesprochen, und sie erinnerte sich deutlich an die Worte.
    »Hexerl«, hatte er gesagt. »Es gibt viele Dinge, die wir Menschen nicht verstehen oder begreifen. Sie werden uns erst klarwerden, wenn wir gestorben sind. Nicht alles ist tot, was so aussieht. Ich weiß es, ich habe lange geforscht, denn dort, wo ich bis zuletzt gelebt habe, hat es schon immer den Weg in die andere Welt gegeben.«
    Karin nickte, als sie sich an diese Worte erinnerte. Die andere Welt, das war für sie das Reich der Toten. Und in einer Variante von ihm hielt sie sich auf.
    Der Wind streichelte ihr Gesicht. Sie fühlte ihn wie die Beine von Spinnen. Die Geräusche der Straße hörte sie nicht mehr. Sie waren so fern, als stünde zwischen ihnen und der normalen Welt eine Mauer. Und so war es auch irgendwo, denn sie blickte über die Gräber hinweg und gegen die Innenseite der Friedhofsmauer.
    Etwas war dort anders geworden. Karin wußte nicht, was da passierte. Sie zwinkerte mit den Augen und spürte zugleich den harten Druck in der Brust, der ihr Herz umklammerte.
    Angst?
    Nein, da war die Stimme.
    Sie traf Karin wie ein Windhauch und erschreckte sie, aber sie war zu hören.
    Jetzt bin ich bei dir!
    Noch im selben Augenblick hörte sie das Knirschen direkt vor sich. Oder dort, wo sich die Rückseiten der Gräber befanden - und die Mauer!
    Karin starrte sie an.
    Sie war da, aber…
    Himmel, sie hatte Risse bekommen, die trotz der schattenhaften Dunkelheit zu erkennen waren. Als wäre eine Riesenspinne dabei, ihr Netz zu weben.
    Da war kein Netz.
    Das war der Bruch. Das Loch im Gestein!
    Sie hörte das Krachen und Knirschen. Steine bröckelten und sprangen aus dem Verbund. Es entstand ein Loch, dessen scharfe Steinzacken nach innen wiesen.
    Nur war das Loch nicht leer.
    Das blutige und zerstochene Gesicht eines Mannes erschien wie ein böses Omen.
    Karin hielt den Atem an.
    Trotz der schrecklichen Verletzungen hatte sie den Mann sofort erkannt.
    Es war der tote Fritz Huber!
    ***
    Der Schrei war da, daran gab es nichts zu rütteln. Den bildeten wir uns auch nicht ein, denn er gellte aus einer endlosen Tiefe in unsere Ohren. Wie der Trompetenstoß aus dem Reich der Toten.
    Ich stand unbeweglich vor diesem verdammten Loch. Ich schaute hoch und streckte ihm mein Kreuz entgegen und spürte auch die Erwärmung des geweihten
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