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0943 - Herren aus der Tiefe

0943 - Herren aus der Tiefe

Titel: 0943 - Herren aus der Tiefe
Autoren: Simon Borner
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draußen.
    Shawn erstarrte vor Grauen. Was in Gottes Namen ging hier vor?
    Weißer Rauch stieg hinter den nun wie wild zuckenden Schultern des Anzugträgers auf. Tränen rannen aus seinen weit aufgerissenen braunen Augen und verdunsteten auf seinen glühend heißen Wangen. Sein krauses Haar dampfte, und seine Lippen zerplatzten mit einem Mal wie Würste, die zu lange auf dem Grill gelegen hatten. Das Geräusch war schmatzend und… Allmächtiger!… brutzelnd!
    »Was um Himmels willen -« Shawn saß da, reglos, fassungslos. Unfähig den Blick abzuwenden. Irgendwo in seinem Inneren registrierte er die enorme Hitze, die blitzartig aufgekommen war, die schwefligen Gerüche und das bizarre Sirren in der Luft, doch sein Verstand hatte nur Platz für den Mann.
    Den, der vor seinen Augen verbrannte .
    Flammen züngelten über den dunklen, teuren Stoff. Augäpfel schienen in ihren Höhlen zu schmelzen. Haut zerbarst und verfärbte sich, legte rohes, kochendes Fleisch frei. Und der Mann stand da, ließ es geschehen, rührte sich nicht. Nur seine Schreie gaben Zeugnis von seinem Schmerz. Sie hallten von der Decke und den Wänden des fast leeren Abteils wider wie das Echo eines Wahnsinnigen.
    ***
    »Himmel, Arsch und Zwirn.« Lieutenant Steven Zandt grunzte ungehalten und zog ein weißes Stofftaschentuch aus der Tasche seines olivfarbenen Mantels, das er sich vor Mund und Nase hielt. »Ich hab ja schon viel gesehen, aber das ist neu.«
    Andy nickte und kämpfte die Galle runter, die ihm in den Rachen gestiegen war. Dieser Duft… und dann noch der Anblick! Eigentlich ein Wunder, dass er sich nicht längst quer über die billigen Plastiksitze übergeben hatte.
    »Sipowicz, schreiben Sie: männlicher Weißer, knapp 1,80 groß, schätzungsweise 90 Kilo schwer.« Zandt betete die Offensichtlichkeiten herunter, und Andy zückte sein Notizbuch. Konzentriere dich einfach auf den Job , ermahnte er sich. Denk nicht an die Leiche. Dienst ist Dienst.
    »Was sagt die Gerichtsmedizin?«, fragte der Lieutenant gerade und zwinkerte der rothaarigen Matrone zu, die sich - keuchend und ächzend - neben den verkohlten Körper gekniet hatte. Ihr Name war Diane Millerton, und sie galt als echtes Original, im guten wie im schlechten Sinne.
    »Die Gerichtsmedizin sagt, dass Sie Ihr nächstes Barbecue gern ohne mich veranstalten können«, antwortete sie bissig. »Erst recht, wenn Sie mich dafür nachts um eins aus den Federn klingeln.«
    »Ach, kommen Sie, Diane. Wo bleibt Ihr Sportsgeist?« Zandt grinste. »Ich dachte, Sie mögen flambierte Wall-Street-Gecken.«
    Andys Galle kehrte zurück. Er wandte sich um, schloss die Augen. Alles, nur nicht hier! Wenn er sich hier übergab, war er der Spott des gesamten Departments.
    Die U-Bahn stand am Bahnhof 155. und St. Nick, der weiträumig abgesperrt war. Gelbes Polizeiband und blaue Uniformen, so weit das Auge reichte. Es schien, als sei das halbe NYPD erschienen, um den Vorfall mit eigenen Augen zu sehen. Morde waren im Big Apple keine Seltenheit, aber ein Mann, der aus heiterem Himmel im Inneren eines Subway-Waggons in Flammen aufging - das hatte Seltenheitscharakter.
    Und dann war da dieser Gestank. Eine Mischung aus verkohltem Fleischgeruch, verbranntem Haar und etwas, das Andy für Schwefel hielt. Es war unerträglich, und der Anblick des verbrannten Toten - zerborstener Brustkorb, offener Mund, Zähne und Knochen so schwarz wie der Rest von ihm - tat sein Möglichstes, um Andys Abendessen eine zweite Runde in seinem Mund zu ermöglichen.
    »Da liegen Sie gleich doppelt falsch, Lieutenant«, sagte Millerton gerade und hielt ein durchsichtiges Plastiktütchen hoch, in dem ein rechteckiges, etwa handtellergroßes Mäppchen lag.
    »Die Spurensicherung hat das in seiner Hosentasche gefunden.«
    Zandt kniff die Augen enger zusammen. »Einen Ausweis?«
    »Bingo. Und ob Sie's glauben, oder nicht - der Name war noch zu erkennen. Unser flambierter Mann stammt nicht von der Wall Street.« Millerton deutete mit der freien Hand auf den noch immer leicht qualmenden Leichnam. »Lieutenant Zandt, darf ich Ihnen George D'Aquino vorstellen?«
    Der Ermittler grunzte. »Soll mir das jetzt was sagen, oder wie?«
    »Doch nicht der George D'Aquino!«, platzte es aus Andy heraus. »Der Produzent?«
    »Wie er leibt und lebt.« Millerton nickte. »Oder besser gesagt: lebte.«
    »Kann mich mal jemand aufklären?«, fragte der Lieutenant ungehalten.
    Millerton war erstaunlich gut informiert. »George W. D'Aquino ist… war der
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