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0920 - Welt der Stille

0920 - Welt der Stille

Titel: 0920 - Welt der Stille
Autoren: Simon Borner
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ging stoßweise und der Schweiß lief dem Geologiedozenten der Universität Koblenz in Strömen von der Stirn. Das Stechen in seiner Seite wurde sekündlich schlimmer, fordernder, und seine Lunge rasselte mit dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren um den imaginären Titel des »Lautesten Störgeräuschs«. Kurz gesagt: Er war fertig. Am Ende - mit der Kraft, der Kondition und mit den Nerven. Nicht zuletzt deswegen musste er wieder und wieder an diesen einen Satz denken.
    Be careful what you wish for. Er hatte ihn auf einer Tagung gehört, vor einigen Wochen. Ausgesprochen von einem dicklichen Amerikaner namens Denny W. Shore, der sich als selbsternannter Parapsychologe vor dem versammelten Auditorium lächerlich gemacht hatte. Als Shore endlich begriff, das seine Thesen vom Mayakalender und dem drohenden Weltuntergang im Jahr 2012 in jener Gesellschaft nur zu Lachstürmen geführt hatten, war ihm diese eine, leise Bemerkung über die Lippen gekommen, bevor er sich geschlagen gegeben und vom Rednerpult entfernt hatte.
    Be careful what you wish for, because you might get it.
    Passen Sie auf, was Sie sich wünschen. Sie könnten es nämlich bekommen.
    Während Eusebius durch die Öffnung trat, die Bruder Rufus' Gesang in der Energiewand erzeugt hatte, konnte er sich nicht helfen. Er musste Shore einfach recht geben. Wochenlang hatte sich Struttenkötter danach gesehnt, noch einmal ein Abenteuer erleben zu können, wie er es am Ufer des Laacher Sees mit den beiden Dämonenjägern Zamorra und Duval bestritten hatte. Und dann, an einem ganz normalen Tag, war es dazu gekommen. Eusebius hatte eine Fachtagung auf dem Mainzer Campus besucht, sich dort zu Tode gelangweilt und hinaus in die Stadt geschlichen. Danach war alles sehr schnell gegangen. Er hatte seltsame Fischwesen gesehen, die plötzlich in Mainz erschienen waren. In einer Kellerkrypta des Domes hatte eine der Kreaturen einen Mönch angegriffen - und nachdem sie besiegt war, hatten der Mönch und sein Kollege Eusebius einfach mitgenommen, hinein in ihr unterirdisches Geheimversteck. In diese, von einer magischen Wand umgebene Kammer, die angeblich schon seit Jahrhunderten existierte.
    Eusebius hatte sich ein Abenteuer gewünscht - und den Weltuntergang bekommen. Das hatten die letzten Minuten mehr als deutlich gemacht. Der von ihm angeregte Versuch, an die Erdoberfläche zurückzukehren und noch mehr Menschen hinter die schützende Energiekuppel zu bringen, war gehörig nach hinten losgegangen und hatte ihn und die Mönche fast das Leben gekostet. Zeitbeben hielten die Stadt in Atem, vernichteten Existenzen und löschten alles, was sie berührten, schlicht aus, als hätte es nie existiert. Sie erschufen eine Welt ohne Leben, eine Welt der Stille. Wie seine Begleiter Struttenkötter erklärt hatten, ging dies auf einen Eingriff in die Geschichte der Menschheit zurück - und nun korrigiere sich die Zeit quasi selbst und vernichte all das, was es nach diesem Eingriff nicht mehr geben durfte. Gemessen an dem, was Eusebius eben erlebt hatte, war das einiges.
    Seufzend ließ er sich auf dem nackten Fußboden nieder und hielt sich die schmerzenden Seiten. Bruder Benedikt trat neben ihn. »Machen Sie sich nichts daraus, Eusebius«, sagte der junge Kultist. »Die Idee war gut. Wir hätten viel früher damit beginnen sollen, Menschen hierher in unsere Arche zu bringen.«
    »Wa… Warum haben Sie es nicht?«, japste der Geologe.
    Benedikt schluckte. »Aus Trägheit? Aus der irren Überzeugung, alle Zeit der Welt zu haben? Wissen Sie, meine Brüder und ich folgen dieser Prophezeiung bereits seit Generationen - und sie besagte bisher immer nur, dass es geschieht. Nicht wann. Das kam erst viel später.«
    Eusebius verstand. »Und wenn ein Ereignis jahrhundertelang ausbleibt…«
    »… verliert es seine Dringlichkeit«, vollendete der Mönch den Satz nickend. »Ganz genau. Es wird normal, nahezu unwichtig.«
    Es war still geworden in der Kammer. Jeder der Mönche hing seinen eigenen Gedanken nach und versuchte, das Erlebte zu verarbeiten. Ihre Mission, das stand nun unumwunden fest, war gescheitert. Sie waren hier, um zumindest einen Teil der Menschheit vor dem zu bewahren, was dort draußen wütete. Und der einzige Zivilist in ihrer Mitte war Struttenkötter.
    »Was genau steht da eigentlich drin?«, fragte er und deutete Benedikt, ebenfalls Platz zu nehmen. »So, wie ich die Sache sehe, haben wir alle Zeit der Welt. Warum erzählen Sie mir nicht, was genau dazu geführt hat,
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