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0907 - Imperium der Zeit

0907 - Imperium der Zeit

Titel: 0907 - Imperium der Zeit
Autoren: Simon Borner
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endlich zu Hause angekommen und die schwere dunkle Holztür hinter ihm ins Schloss gefallen war, zitterte Johann Bechtel wie Espenlaub. Nur mit Mühe und äußerster Überredungskunst war es ihm gelungen, den hilfsbereiten Wanderer, der ihm Starthilfe gegeben und ihn sicher heim geleitet hatte, davon abzuhalten, ihn gleich ins Brüderhaus zu fahren, wo sich Johann einer gründlichen Untersuchung hätte unterziehen sollen. »Ich war früher Arzt«, hatte der Mann gesagt, die Hände skeptisch in die Taschen seiner Jack-Wolfskin-Jacke gesteckt und ihn besorgt über den Rand seiner schmalen Brille angeschaut, »und ich erkenne einen Nervenzusammenbruch, wenn ich einen sehe. Um ehrlich zu sein, sehen Sie sogar aus, als hätten Sie die letzte Nacht im Freien verbracht…«
    Als ob Johann diese Bestätigung noch nötig gehabt hätte.
    Er wusste selbst, wie es um ihn stand. Er wusste von dem Mann im Weinberg, dem Dunklen, dem Schattenwesen in Menschenform, das so dicht dran gewesen war, ihn zu sich zu holen, unwiederbringlich und endgültig. Ihn - Johann Bechtel, einen Selfmademan, der doch sonst mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität stand und sich in knapp fünfundfünfzig Berufsjahren als besonnener und vor allem erfolgreicher Unternehmer erwiesen hatte. Er war kein Traumtänzer, der an Geister glaubte.
    Und doch hatte ihn eben ein Wesen bedroht, dass nicht von dieser Welt war. Vermutlich sogar von keiner Welt…
    Johann lehnte den Kopf an das Holz der Eingangstür, spürte deren glatte Oberfläche, deren Kühle. Früher hatte ihm diese Tür Sicherheit geboten. Sie war das Schott gewesen, mit dem er sich und seine Familie von der restlichen Welt abgrenzen konnte. War sie zu, blieb draußen, was er nicht in seiner Nähe haben wollte. Nach dieser einfachen Regel hatte er sein Leben, seine Ehe mit Gudrun und sein Unternehmen geführt.
    Doch diese Zeiten waren vergangen. Zuerst waren die Geldprobleme gekommen - ganz unauffällig waren sie durch den Briefschlitz in sein Reich gesickert, wie eine heimtückische Seuche -, und jetzt…
    Der Gedanke war grauenhaft, doch er ließ sich nicht verjagen: und jetzt der Mann. Der dunkle Mann, der lebende Schatten. Er war da draußen, jenseits der Tür. Johann spürte es, wusste es einfach. Und was noch schlimmer war: Er spürte, dass dieses Monster wusste, dass er es wusste. Dass es es amüsierte, vor seinem Haus auf ihn zu warten.
    Oder war es schon drin? Ein leises Wimmern rang sich aus Johanns Kehle, als er diese Möglichkeit bedachte. Hatte der Dunkle etwa gewusst, wo er wohnte, und war ihm vorausgeeilt, um hier zu vollenden, woran man ihn zwischen den Rebstöcken gehindert hatte?
    Da! Waren das nicht Schritte? Näherte sich nicht gerade jemand aus dem hinteren Bereich des Erdgeschosses, der sich hinter der breit geschwungenen und mit rotem Teppich ausgelegten Steintreppe ins obere Stockwerk vor Johanns sorgenvollem Blick verbarg? Es durfte einfach nicht sein, und doch glaubte er… nein, wusste er mit plötzlicher, niederschmetternder Sicherheit, dass er kam! Dass er es war.
    Und mit ihm das Ende.
    Der alte Winzer stöhnte frustriert auf, griff sich einen halbwegs stabil aussehenden Regenschirm, der in einem Bastkorb neben der Tür lag, und wappnete sich für das Unvermeidliche. Ein Regenschirm war eine erbärmliche Waffe - aber es war eine. Und kampflos würde ein Johann Bechtel sich nicht ergeben; komme, wer da… nein: was da wolle!
    Er hielt den Schirm wie einen Baseballschläger, hatte den Blick fest auf den im Halbdunkel liegenden Bereich jenseits der Treppe gerichtet - und schrie vor Angst, Wut und Frustration auf, als sich tatsächlich eine Gestalt aus den Schatten herausschälte.
    Doch es war kein Monster und auch kein Schwarzer Mann. Es war Gudrun, seine Ehefrau seit dreiundvierzig Jahren; Und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, fand sie Johanns Benehmen höchst befremdlich.
    »Sag mal, wo um Gottes willen warst du?«, fuhr sie ihn tadelnd an. »Und was soll das hier? Erst sieht man dich den ganzen Tag nicht, dann kommst du zu spät zu deinem eigenen Termin und machst auch noch so ein Theater… Was soll denn Herr Kreiner von dir denken?«
    Es dauerte eine Weile, bis Johann wirklich begriffen hatte, dass sie es war, und nicht der Dunkle. Nur Gudrun, die gute alte Gudrun, mit ihren tiefschwarzen, mittlerweile gefärbten Haaren, mit denen sie ihn als jungen Mann, als der er diese Frau einst in ihrem elterlichen Gasthaus in Pfalzel kennenlernen durfte, um den
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