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0695 - Blut an bleichen Lippen

0695 - Blut an bleichen Lippen

Titel: 0695 - Blut an bleichen Lippen
Autoren: Jason Dark
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düsteren, haarlosen Arme einer gewaltigen Leiche.
    Wie eine Leiche sah sie auch aus. Er wollte es kaum glauben, sein Inneres fror noch mehr ein, aber Lilian Demarest hatte sich verändert. Sie sah aus wie eine lebende Tote…
    ***
    Das Gesicht schien aus einem dünnen Knochenmuster zu bestehen, über das eine sehr straffe, helle Gummihaut gespannt worden war. Ihr Haar war innerhalb der kurzen Zeit grauweiß geworden, überhaupt nicht naß, und stand strähnig gezupft in die Höhe.
    Die dunklen Pupillen waren ebenfalls verschwunden und hatten blassen Kreisen Platz schaffen müssen. Es waren Totenaugen, die Joey anblickten und ihn vor Angst zittern ließen.
    Totenaugen und Totenhände…
    Sehr lange Finger, auch sehr dünn, spitze Nägel. Ein Kleid, das nur mehr einen Ärmel besaß, die Gestalt der Frau umflatterte wie ein Totenhemd, gegen das der Wind blies und bestimmte Stellen zittern ließ wie kleine Wellen auf dem Wasser.
    Es reichte fast bis zu den Füßen, die unter dem Saum hervorschauten, als wären es Knochengebilde, von denen sich das Fleisch immer weiter ablöste. Matt schimmerten die Zehennägel, und als sich die Füße bewegten, da hatte es den Anschein, als würden Perlen durch das dünne Gras des Bodens gleiten.
    Sie kam…
    Und wieder fragte sie: »Wolltet ihr mich nicht küssen? Hattet ihr das nicht vorgehabt?«
    Joeys Lippen zuckten. Er wollte lautstark protestieren, das gelang ihm nicht. Er konnte nicht einmal den Kopf schütteln und kam sich vor wie sein eigenes Denkmal.
    Aber sie war da.
    Sie war kein Trugbild, keine Erscheinung, kein Spuk. Noch näher kam sie an ihn heran. Er konnte sie riechen. Es war ein fauliger Wassergestank, der von ihr ausging und ihm beinahe den Atem raubte, weil er so intensiv war.
    »Küssen…«
    Sie brachte noch dieses eine Wort hervor, dann packte sie zu. Sie bewegte sich eckig und gleichzeitig wahnsinnig schnell. Joey war es nicht mehr möglich, sich zu wehren.
    Im Boot hatte er Lilian seine Hände auf die Schultern gelegt, jetzt war es umgekehrt, da spürte er den Druck ihrer Klauen rechts und links des Kopfes.
    Ihre Finger bohrten sich immer tiefer, und sie ließen nicht los.
    Eine für ihn nicht vorstellbare Kraft zog ihn hoch.
    Er schaute sie an.
    Sie sah ihn an.
    »Küssen, Süßer…«
    Dann öffnete sie den Mund. Ein kräftiges Gebiß blitzte ihm für einen Moment entgegen.
    Gefährliche Zähne…
    Sie ›küßte‹.
    Joey schrie. Nur kurz, mehr schaffte er nicht, denn da berührten die eisigen Totenlippen seinen Mund, glitten über die Lippen hinweg, wobei es nicht blieb, denn die kräftigen Zähne kannten kein Pardon und bissen gnadenlos zu.
    Der Schmerz war nicht auszuhalten. Joey glaubte, daß eine Kraft dabei war, ihm die Lippen abzureißen. Er sackte in die Knie. Das Blut sprudelte; er sah, wie, es zu Boden tropfte und auch gegen die Blätter der nahen Büsche sprühte.
    Sein Blut…
    Und sie biß weiter, tiefer…
    Joey sank zu Boden. Die Hände brauchten ihn nicht mehr zu halten. Er schaffte es sowieso nicht, wieder auf die Füße zu kommen, denn sein Lebensfaden war gerissen.
    Lilian aber fuhr herum. Sie schaute Calvin an, der nur auf ihre untere Gesichtshälfte starren konnte, die aussah, als wäre sie mit dunkelroter Farbe beschmiert worden.
    Nicht nur Joey wollte sie holen, auch ihn.
    Und sie streckte ihm den rechten Arm entgegen, wobei sie mit dem Zeigefinger winkte.
    »Komm her zu mir. Auch du wolltest etwas von mir. Du wolltest mich doch küssen…«
    Er schluckte.
    »Warum sagst du nichts?«
    Aus seinem Mund drang ein Röcheln…
    »Angst?« Sie ging auf ihn zu. Das Gras unter ihren Füßen raschelte leise. Für Calvin war es eine tödliche Musik, die er unfreiwillig hörte. Er wollte sich wehren, aber etwas bremste ihm. Da war eine andere Macht, eine fremde Kraft, der er nichts entgegensetzen konnte. Sie schien auch nicht von dieser Welt zu sein, sondern sich in der Tiefe einer anderen Dimension gebildet zu haben.
    Eine dämonische, eine geisterhafte Kraft.
    »Na, du Hundesohn!«
    Calvin öffnete den Mund. Seine Augen tränten wieder, deshalb verschwamm die Gestalt noch mehr.
    »Laß mich… laß mich gehen…«
    »Ja, das kannst du. Aber erst nach dem Kuß, mein Lieber. Verstehst du? Nach dem Kuß.«
    Dann griff sie zu.
    Sie schlug ihre Klauen in seine Kleidung. Sie riß ihn hart an sich heran, so daß er heftig gegen den kalten, knochigen Körper prallte. Und sie ›küßte‹ ihn.
    Es war wie bei Joey. Auch Calvin hatte keine Chance.
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