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039 - Der schwarze Abt

039 - Der schwarze Abt

Titel: 039 - Der schwarze Abt
Autoren: Edgar Wallace
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versuchte sich auszumalen, wie sein Bruder, dieser Neuling in Liebessachen, sich ausgedrückt haben mochte. Einmal, an einem warmen Juniabend, hatte Dick ein Tête-à-tête unterbrochen, das in einem Antrag der unternehmungslustigen jungen Sekretärin an Harry gipfelte. Der verwirrte Harry würde ihren Einflüsterungen bestimmt unterlegen sein, wenn nicht zufällig sein Bruder dazugekommen wäre, der die spekulierende Miss Wenner zu einer überstürzten Abreise von Fossaway zwang.
    »Ich frage mich oft, ob seine Wahl auf mich gefallen wäre, wenn .« Leslie stockte.
    »Wenn Sie nicht so schrecklich reich wären«, vollendete Dick. »Sie machen mit dieser Auffassung Ihrem Verlobten nicht gerade ein Kompliment!«
    Sie streckte die Arme aus, und er hob sie von ihrem Sitz herunter, wozu bei ihrer Gewandtheit freilich kein Anlaß vorlag.
    Sie stiegen nebeneinander den Hügel hinab.
    »Dick, was soll ich tun?«
    »Inwiefern?«
    »In bezug auf Harry. Mein Bruder ist sehr erpicht auf diese Heirat, und auch ich bin eigentlich nicht abgeneigt, wenigstens kommt es mir so vor.«
    »Schlimme Sache, eine reiche Erbin zu sein!« neckte er.
    »Bin ich's denn?« Sie mußte lachen, als sie sein fragendes, bestürztes Gesicht sah.
    »Etwa nicht?«
    »Ich weiß nicht. Mein Onkel hinterließ mir vor vielen Jahren eine Menge Geld. Wieviel, kann ich nicht sagen. Arthur hat mein Vermögen von jeher verwaltet. Jedenfalls habe ich immer alles, was ich brauche.«
    »Dann maulen Sie nicht!« verwies er sie vergnügt.
    »Wahrscheinlich kommen die Ehen der meisten vermögenden Mädchen auf diese Weise zustande, und bis vor kurzem fand ich mich auch damit ab wie mit etwas Unvermeidlichem.«
    »Und warum haben Sie Ihre Meinung geändert?« erkundigte er sich und sah, wie ihr das Blut in die Wangen schoß.
    »Das weiß ich nicht«, antwortete sie schroff.
    Verstohlen sah sie im Gehen zu ihm hinüber. Unwillkürlich mußte sie an ihren Verlobten denken, diesen dürren, leicht reizbaren jungen Mann, der alles hatte, ausgenommen Männlichkeit. Ein Schwächling mit gefolterten Nerven, der bald bat, bald lärmend einzuschüchtern versuchte, unbekümmert um den Eindruck, den er auf die Frau machte, die sein Leben teilen sollte.
    Ein paar Minuten später, auf dem Rückweg nach dem alten Willow-Haus, quälte sie sich mit einem Problem, das unlösbar schien.

3
    Dick Alford schlenderte langsam in entgegengesetzter Richtung. Von weitem bemerkte er die schmächtige Gestalt seines Bruders am Ende der Ulmenallee. Der Wind hob die Schöße seines Gehrocks, und wie er so dastand, leicht vornübergebeugt und den Kopf vorgestreckt, glich er einem großen, plumpen Vogel. Mit zornverzerrter Miene kam er Dick entgegen.
    »Ich überlasse dir vieles, Richard, aber meine Liebesaffären regle ich allein!« Seine Stimme schrillte in kindischer Wut. »In meine Privatangelegenheiten hast du dich nicht zu mischen, verstanden? Ein Mädchen hast du schon weggeschickt - nimm dich in acht mit Leslie!«
    »Wie kommst du nur .«
    »Du willst nicht, daß ich heirate«, schnitt ihm Harry das Wort ab. »Ich bin kein Dummkopf, Dick! Du bist der nächste Erbberechtigte ... Doch diese Verlobung wirst du nicht hintertreiben!«
    Die Brutalität und Ungerechtigkeit der Anklage verschlug Dick im ersten Augenblick den Atem. Dann lachte er laut auf. Szenen dieser Art spielten sich fast täglich ab, nie zuvor jedoch war Harry Alford so weit gegangen. In zehn Minuten würde der Sturm sich ausgetobt haben, Harry wieder der liebenswürdigste Mensch sein - trotzdem, es war nur schwer erträglich.
    »Warum diese Vorwürfe?« verteidigte er sich. »Ich ließ die Wenner gehen, weil sie keine Frau für dich war.«
    »Ich soll überhaupt nicht heiraten, das willst du!« keifte Harry. »Du wartest darauf, in meine Fußstapfen zu treten. Eine neue Gräfin von Chelford ist das letzte auf der Welt, das du sehen möchtest!«
    Dick schwieg. Weiß Gott, sein Bruder sprach die Wahrheit! Ein schwarzer Tag, an dem Harry Alford in dieses Haus eine Frau brachte, die das wie eine Wolke über Fossaway hängende Geheimnis teilen mußte.

4
    Dick Alford saß in dem kleinen Zimmer, in dem er meistens arbeitete und das durch die vielen Mappen und Briefordner ein büromäßiges Aussehen bekam. Die auf den Garten hinausgehenden Fenster standen weit offen. Die Septembernacht war so warm, daß er den Rock ausgezogen hatte.
    Wenn zwischen Lord Alford und seiner Mutter eine große Ähnlichkeit bestand, so hätte auch der
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