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0176 - Der Pestvogel

0176 - Der Pestvogel

Titel: 0176 - Der Pestvogel
Autoren: Friedrich Tenkrat
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stecken hatte.
    Der Wiedergänger erhob sich.
    Er breitete die Arme aus, verzichtete auf jegliche Deckung. Mit staksenden Schritten kam er auf mich zu. Er bot mir die ungeschützte Brust, schien darauf zu warten, daß ich zustach, und dann würde er seine Arme zuschnappen lassen, mich packen und mich genauso verseuchen wie den Küster.
    Um einem so schrecklichen Schicksal zu entgehen, war ich höllisch auf der Hut. Wir standen einander einige Augenblicke reglos gegenüber, belauerten uns. Und dann fintierte ich.
    Ich tat so, als würde ich vorspringen und meinem Gegner die Klinge des geweihten Silberdolchs in die Brust stoßen. Er reagierte sofort darauf. Seine Arme schnappten wie die Klammern einer Bärenfalle zu, aber er erwischte mich nicht, denn ich fing meinen angedeuteten Schwung sofort wieder ab, zuckte nach links und stach unter seinen Armen mitten in sein schwarzes Herz.
    Meine Hand mit dem Dolch flitzte sofort wieder zurück.
    Der Pesttote zuckte heftig zusammen. Seine Augen weiteten sich in namenlosem Entsetzen. Sein scheußliches Gesicht verzerrte sich. Ein wahnsinniger Schmerz mußte durch seinen Körper rasen. Er vermochte sich nur noch wenige Augenblicke auf den Beinen zu halten. Dann brach er mit einem gurgelnden Laut zusammen.
    Seine von nässenden Beulen übersäte Haut bekam Risse, klaffte an vielen Stellen auf, löste sich von den Knochen und verging.
    Vor mir lag ein Skelett, dessen einzelne Knochen miteinander keine Verbindung mehr hatten.
    Der Wiedergänger war erledigt.
    ***
    Jetzt eilte Vladek Rodensky herbei. Er warf sich neben dem Küster auf die Knie. »Fassen Sie ihn nicht an!« rief ich. Die Hand des Brillenfabrikanten, die Manfred Mock berühren wollte, zuckte zurück.
    Mir krampfte es das Herz zusammen, denn für mich stand fest, daß der Küster sterben würde. Und Mock wußte das auch. Unglücklich und verzweifelt blickte er uns an.
    Seine Zähne schlugen hart aufeinander. Seine Lippen bebten.
    Wir merkten, daß er etwas sagen wollte. Ich beugte mich über ihn. Die schreckliche Krankheit, von schwarzmagischen Kräften verstärkt, schritt grausam fort. Es erfüllte mich mit ohnmächtiger Wut, nichts für den Küster tun zu können.
    »A-d-e-l-e-!« flüsterte Manfred Mock.
    Selbst in der Stunde seines Todes dachte er noch an seine kranke Frau.
    »Wir kümmern uns um sie«, sagte Vladek Rodensky ergriffen.
    »Der Totenvogel… darf sie nicht k-r-i-e-g-e-n…«
    »Bestimmt nicht.«
    »Dieser Pesttote…« Es fiel dem Küster schrecklich schwer, zu sprechen. Seine Stimme versagte immer wieder. Er hatte keine Kraft mehr, konnte die Augen kaum noch offenhalten, aber er schien nicht sterben zu wollen, bevor er uns gesagt hatte, was für uns wichtig war.
    »Der Pesttote…«, hauchte Manfred Mock.
    »Er ist erledigt«, sagte ich.
    »Er… war nicht allein…«
    Meine Kopfhaut zog sich schmerzhaft zusammen. »Wollen Sie damit sagen, daß mehrere Wiedergänger die Grabkammer verlassen haben?« fragte ich erschrocken.
    »Ja«, antwortete Mock leise. »Sie… müssen sie finden…, sonst…«
    »Wie viele sind es?« fragte ich mit belegter Stimme. Die Aufregung ließ meine Stirn glänzen.
    Manfred Mock wollte es mir sagen, doch die Kraft verließ ihn in diesem Moment vollends. Er sackte regelrecht in sich zusammen.
    Sein Kopf drehte sich mit einem Ruck zur Seite. Er lebte nicht mehr.
    Kaum war er tot, da vergingen die Pestbeulen. Sie lösten sich auf. Die Haut nahm ihre ursprüngliche Färbung wieder an und glättete sich.
    In meinem Kopf fuhren die Gedanken Karussell. Es gab auch noch andere Wiedergänger. Sie trieben sich irgendwo in den Katakomben herum. Ich mußte sie finden und unschädlich machen.
    Alle. Wenn auch nur einer entkam, konnte das für die Stadt zur Katastrophe werden.
    »Bleiben Sie bei ihm«, sagte ich zu Vladek Rodensky und hetzte los.
    ***
    Der Brillenfabrikant war erschüttert und gebrochen. Sein Freund Manfred Mock lebte nicht mehr, und Adele lag krank zu Hause.
    Beide hatten den Totenvogel gesehen. Mußte jeder sterben, dem dieses gefiederte Ungeheuer erschien? Vladek fragte sich, wie es möglich war, daß sich diese Pesttoten nach so vielen Jahren mit Fleisch an den Knochen wieder erheben konnten, und es stand für ihn außer Zweifel, daß hier schwarze Mächte ihre Hand im Spiel hatten.
    Immer wieder unternahmen die Mächte der Finsternis einen grausamen Vorstoß, wollten ihren Einflußbereich erweitern, die Basis, auf der das Böse gedeihen konnte,
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