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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend
Autoren: Stephen Fry
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Harmonie schied von vornherein aus. Also Gabbitas & Thring.
    Der junge Mr. Thring – es könnte auch der alte Mr. Gabbitas gewesen sein – empfahl Stouts Hill Preparatory School, Uley, in der Nähe von Dursley, Glos. Irgend etwas an der Art meiner Mutter hatte ihnen signalisiert, daß nur ein herzlicher, warmer Ort in Frage kam, und in der Hinsicht war Stouts Hill schwerlich zu übertreffen: Herzlichkeit war geradezu ihr Markenzeichen. Die Schule strahlte eine beschützende familiäre Wärme aus, die selbst das sensibelste, an Mutters Rockschoß hängende Kind umfing. Einst von einemgewissen Robert Angus gegründet und geleitet, war sie in die sicheren Hände seiner vier Töchter Carol, Sue, Paddy und Jane übergegangen. Die vier Angus-Mädchen, erklärte der junge Mr. Gabbitas – und der alte Mr. Thring pflichtete ihm mit einem polternden Schlag auf den Schreibtisch bei –, seien überaus aufmerksam, charmant, engagiert, sanftmütig und nett. Alle Schüler lernten Reiten (Miss Jane war ganz vernarrt in Ponys und Pferde); auf dem See konnte man angeln, rudern und Schlittschuh laufen; in den weitläufigen Gehölzen und Wäldern herumtollen oder Nüsse und Brombeeren sammeln; in Slimbridge segeln und Vögel beobachten und überhaupt soviel rennen, hüpfen, Cricket, Rugby oder Fußball spielen, Latein und Griechisch lernen und sich auf die Common-Entrance-Prüfung vorbereiten, wie es sich begeisterte Eltern nur wünschen konnten. Die Mahlzeiten waren ausgewogen und nahrhaft, die Schuluniform schick und adrett und das Schulgeld so horrend hoch, daß die meisten Eltern hätten aufschreien mögen. Gabbitas und Thring machten kein Hehl daraus, daß sie Stouts Hill, Uley, Glos., nur einmütig empfehlen konnten. Nicht weniger angetan waren meine Eltern und Roger, nachdem sie der Schule einige Monate später einen Besuch abgestattet hatten.
    Als mein Bruder dort anfing, lebten die Frys in Chesham, Buckinghamshire. Als ich ihm zum Sommersemester 1965 folgte, waren wir auf die andere Seite Englands nach Norfolk gezogen, zweihundert britische Meilen von Gloucestershire entfernt.
    Wenn Leute heute hören, daß ich im Alter von sieben Jahren auf ein zweihundert Meilen entferntes Internat geschickt wurde, rümpfen sie oft verständnislos eine Augenbraue, grunzen verächtlich oder werfen verzweifelt die Hände in die Luft angesichts solch herzloser, grausamer und gewissenloser Eltern, die ihrem Kind in einem so zarten Alter derartiges antun konnten: Immer wieder fallen dann Wörter wie »Schoß« und »herausreißen« oder Phrasen wie »Wie kannman nur ...?« »In diesem Alter« und »Kein Wunder, daß die Briten so ...«
    Solche Reaktionen zeugen von erheblicher Geistesarmut oder zumindest von wenig Einfühlungsvermögen, was mehr oder weniger auf dasselbe hinausläuft, wenngleich letzteres moralisch verwerflicher ist. All diejenigen, denen der Gedanke widerstrebt, Kinder in jungen Jahren (oder überhaupt) aus dem Haus zu geben, sehen nämlich gänzlich über gesellschaftliche Erwartungen und Gepflogenheiten hinweg. Die Frage nach dem Sinn oder Unsinn privater Internatsschulen ist wiederum ein ganz anderes Thema, über das ich so häufig meine Meinung wechsle wie meine Socken, den Bildschirmschutz auf meinem Computer oder meine Ansichten über Gott.
    Als ich sieben war, kannte ich kein Kind meines Alters, das nicht auf eine Internatsschule ging. Auch dies hat nichts mit der Frage zu tun, wie gut oder schlecht es ist, daß meine Freunde alle einem vergleichbaren sozialen Milieu entstammten. Wichtig ist allein, daß mein Vater ein Internat besucht hatte, meine Mutter ein Internat besucht hatte und alle meine Freunde Internate besuchten. So war das eben. Etwas anderes wäre mir nie in den Sinn gekommen. Ein siebenjähriger Junge stellt Gewohnheiten nicht in Frage: Sie gehören für ihn zum Lauf der Welt. Hätte man mich nicht von zu Hause weggegeben, hätte ich mich gefragt, was mit mir nicht stimmte. Ich hätte mich ungerecht behandelt und übergangen gefühlt. Auf eine Schule in der Nähe meines Elternhauses geschickt zu werden, hätte ich ganz gewiß nicht als ein Zeichen besonderer Liebe und Fürsorge aufgefaßt, ganz im Gegenteil. In den Ferien hätte ich mit meinen Freunden gespielt und mir ihre sämtlichen Internatsgeschichten anhören müssen und wäre mir auf grausame Weise ausgestoßen und aus unerfindlichen Gründen bestraft vorgekommen. Ich bin mir dessen so sicher, weil ich tatsächlich ein halbes Jahr an einer
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