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Zwölf tödliche Gaben 5: Fünf goldene Ringe

Zwölf tödliche Gaben 5: Fünf goldene Ringe

Titel: Zwölf tödliche Gaben 5: Fünf goldene Ringe
Autoren: Stuart MacBride
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geboren ist: die lieben Verstorbenen friedlich aussehen zu lassen.
    Und dann, nachdem Mrs McNultys Körperflüssigkeiten durch Konservierungsmittel ersetzt worden sind, nachdem alle, auch die intimsten, Körperöffnungen mit Mullpfropfen verschlossen worden sind, damit Mrs McNulty nicht in ihren Sarg tropft, zieht er seinen Spezial-Werkzeugkasten heran und starrt ihr Gesicht an. Studiert die Falten und Runzeln, die feinen Äderchen in ihren Wangen, das Muttermal an ihrem Kinn mit dem einen langen Haar, die Sommersprossen auf ihrer Stirn. Dann macht er sich an die Arbeit.
    Es ist eine Arbeit, die viel Fingerspitzengefühl verlangt. Schon als kleiner Junge im Beerdigungsinstitut seines Vaters hat Mr Unwin damit angefangen. Er besitzt die Gabe: Schicht um Schicht hautfarbener Schminke, schön gemischt, sodass sie einen zarten Schimmer auf die fahle Haut zaubert. Ein dezenter roter Lippenstift, aufgetragen auf die zusammengeklebten Lippen. Lidschatten und Rouge, die grauen Haare sorgfältig gestylt. Als er fertig ist, sieht sie so gut aus wie seit Jahren nicht mehr.
    Der Tod steht Mrs McNulty hervorragend. Sie hätte schon vor Jahren sterben sollen.
    Mr McNulty hat seiner Frau für die letzte Reise ihre Lieblingssachen bereitgelegt: ein blaues, knielanges Kleid, eine dichte braune Strumpfhose, schwarze Pumps und eine große Lederhandtasche. Es dauert eine Weile, die Verstorbene anzuziehen, aber Mr Unwin hat jede Menge Übung im Bekleiden von Leichen. Endlich ist sie fertig für ihre letzte Reise.
    Es ist ein Stück Arbeit, die Frau seines Geschäftspartners in ihren Sarg zu heben – Walnuss und Ahorn, mit blassblauer Seide gefüttert, die Griffe aus echtem Messing –, doch er schafft es. Mrs McNulty mag dank seiner Bemühungen besser aussehen als je zuvor – aber leichter ist sie dadurch nicht geworden.
    Sie sieht so friedlich aus, wie sie da vor ihm liegt, und Mr Unwin hält einen Moment inne, um einen Dank für ihr Leben zu sprechen, bevor er sie in die Abschiedskapelle rollt, wo sie die Nacht mit Mrs Rileys Mutter verbringen wird. Zwei alte Damen, harmonisch vereint in der ewigen Ruhe.
    Und jetzt bleibt nur noch eines zu tun.
    Mr Unwin nimmt Mrs McNulty Hände, arrangiert sie auf ihrer Brust, die rechte über der linken, und klebt sie zusammen, damit sie auch so liegen bleiben. Manchmal verrutschen die lieben Verstorbenen beim Transport, oder durch den Temperaturunterschied zwischen dem Bestattungsinstitut, dem Leichenwagen und einer kalten, zugigen Kirche ziehen sich ihre Sehnen zusammen. Das kann für die Angehörigen sehr verstörend sein. Und mit Kontaktkleber lässt sich so manche Sünde kaschieren.
    Zurück im Büro, nimmt Mr Unwin hinter seinem Schreibtisch Platz und blickt über die dunklen Dächer von Oldcastle hinweg. Noch acht Tage bis Weihnachten, doch im Beerdigungsinstitut steht kein geschmückter Baum, hängen keine bunten Karten an der Leine. Dies ist kein Ort zum Feiern, es ist ein Ort des stillen Respekts und der Trauer.
    In seinem Schreibtisch steht eine Flasche Highland Park, und er schenkt sich einen bescheidenen Schluck ein, gibt einen Spritzer Wasser dazu, um das Aroma des Whiskys freizusetzen. Er hebt sein Glas und prostet der schlafenden Stadt zu. »Auf Mrs McNulty – mögest du im Tod den Frieden finden, den du deinem Mann im Leben verwehrt hast.« Und deshalb hat Mr McNulty sie auch die Treppe hinuntergestoßen, wobei sie sich den Schädel und das Genick gebrochen hat.
    Mit einem feinen Lächeln schließt Mr Unwin seine Schreibtischschublade auf und nimmt eine lange Holzkiste heraus. Öffnet sie mit einem kleinen goldenen Schlüssel – klick  –, und der Inhalt funkelt im gedämpften Licht. Eheringe: große und kleine, neue und alte, alle von den Fingern der teuren Verstorbenen gezogen oder geschnitten. Er fügt Mrs McNultys Ring hinzu und registriert bewundernd, wie er sich in das Ensemble einfügt. So viele Leben. So viel Liebe. So viel Leid.
    In einer anderen Kiste bewahrt er die abgetrennten Finger auf.
    Mit Kontaktkleber lässt sich so manche Sünde kaschieren.

Stuart MacBride im Goldmann Verlag
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