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Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer

Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer

Titel: Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer
Autoren: Jules Verne
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die Masse achtsam betrachtete, glaubte ich, etwas verdickt, die Formen eines Schiffes ohne Masten zu erkennen, das vorlängst untergesunken war.
    Das Unglück mußte schon vor langer Zeit sich begeben haben, wie aus der Verkalkung seiner Hülle abzunehmen war.
    Was für ein Schiff war es? Weshalb besuchte der Nautilus seine Grabstätte? War das Schiff nicht durch Schiffbruch untergegangen?
    Ich wußte nicht, was ich davon denken sollte, als ich an meiner Seite den Kapitän langsam sprechen hörte:
    »Früher hatte dies Schiff den Namen Le Marseillais. Es wurde 1762 erbaut und trug vierundsiebenzig Kanonen. Im Jahre 1778, den 13. August, kämpfte es tapfer gegen den Preston. 1779 am 11. Juli war es mit dem Geschwader des Admirals d’Estaing bei der Eroberung Granada’s. 1781 am 5. September nahm es am Kampf des Grafen de Grasse in der Bai von Chesapeak Theil. Im Jahre 1794 gab ihm die französische Republik einen anderen Namen. Am 16. April desselben Jahrs schloß es sich zu Brest dem Geschwader von Villaret-Joyeuse an, welches eine Ladung Getreide aus Amerika zu escortiren hatte. Am 11. und 12. Prairial des Jahres II. traf dieses Geschwader mit den englischen Schiffen zusammen. Heute ist der 13. Prairial, 1. Juni 1868. Heute sind’s gerade vierundsiebenzig Jahr, daß an derselben Stelle, unter 47°24’ Breite und 17°28’ Länge, dieses Schiff, als es nach heroischem Kampf seine drei Maste verloren, das Wasser in seine Räume drang, ein Drittheil seiner Mannschaft kampfunfähig geworden, sammt seinen dreihundertsechsundfünfzig Mann lieber sich versenkte, als sich ergab, und mit aufgepflanzter Flagge und dem Ruf: ›Es lebe die Republik!‹ in die Tiefe sank.
    – Der Vengeur! rief ich aus.
    – Ja, mein Herr, der Vengeur! Ein schöner Name!« murmelte der Kapitän Nemo mit gekreuzten Armen.

Einundzwanzigstes Capitel.
Eine Hekatombe.
    Diese Art zu reden, das Unvorbereitete der Scene, die Geschichte des patriotischen Schiffes, die Aufregung, womit der außerordentliche Mann diese letzten Worte sprach, der Name Vengeur, dessen Bedeutsamkeit mir nicht entging – Alles dieses machte auf mich tiefen Eindruck. Meine Blicke waren unablässig auf den Kapitän gerichtet, wie er dastand und die ruhmvollen Reste betrachtete. Vielleicht sollte ich niemals erfahren, wer er war, wohin er ging, aber ich lernte mehr und mehr den Menschen in ihm kennen. Nicht ein gewöhnlicher Menschenhaß hielt den Kapitän Nemo mit seinen Genossen abgesondert in seinem Nautilus, sondern ein ungeheurer oder erhabener Haß, den die Zeit nicht abschwächen konnte.
    War es ein Haß, der noch nach Rache dürstete? Die nahe Zukunft sollte mich’s lehren.
    Inzwischen stieg der Nautilus wieder langsam zum Meeresspiegel auf, und bald gab mir ein leichtes Schwanken zu erkennen, daß wir wieder in freier Luft schwammen.
    In diesem Augenblick hörte man einen dumpfen Knall. Ich blickte den Kapitän an. Er rührte sich nicht.
    »Kapitän?« sagte ich.
    Keine Antwort.
    Ich ließ ihn und begab mich auf die Plateform. Conseil und der Canadier waren mir vorausgegangen.
    »Woher dieser Ton? fragte ich.
    – Ein Kanonenschuß«, erwiderte Ned-Land.
     

    Der Vengeur. (S. 438.)
     
    Ich richtete meine Blicke nach dem Schiff hin, welches ich bemerkt hatte. Es kam näher heran, und man sah, daß es mit verstärkter Kraft fuhr. Sechs Meilen noch war es von uns entfernt.
    »Was ist’s für ein Schiff, Ned?
    – Seinem Takelwerk, seinen Masten nach, erwiderte der Canadier, wollte ich wetten, daß es ein Kriegsschiff ist. Wenn es doch käme, den verfluchten Nautilus nöthigenfalls zu versenken.
    – Freund Ned, erwiderte Conseil, was kann er dem Nautilus für einen Schaden zufügen? Soll er ihn unter’m Meer angreifen? Werden seine Kanonen ihn auf dem Meeresgrund erreichen?
    – Sagen Sie mir, Ned, können Sie erkennen, welcher Nation das Schiff angehört?«
    Der Canadier runzelte die Augenbraunen, senkte seine Wimpern, blinzelte mit den Augen und heftete eine Weile seinen Blick mit aller Schärfe auf das Schiff.
    »Nein, mein Herr«, erwiderte er. »Ich kann nicht erkennen, welcher Nation es angehört. Es ist keine Flagge aufgesteckt. Aber ich kann versichern, daß es ein Kriegsschiff ist, denn ein langer Wimpel weht von der Spitze seines Hauptmastes.«
    Eine Viertelstunde lang fuhren wir fort, das Schiff, welches auf uns zufuhr, zu beobachten. Ich konnte jedoch nicht annehmen, daß es aus dieser Entfernung den Nautilus erkannt hätte, und noch weniger, daß es
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