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Wunschloses Unglück - Erzählung

Wunschloses Unglück - Erzählung

Titel: Wunschloses Unglück - Erzählung
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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zutraute; seine Frau, als Frau, hatte von Geburt an ohnehin von etwas anderem nicht einmal träumen können.
    Er sparte immer weiter, bis die Kinder für Heirat oder Berufsausübung eine AUSSTATTUNG brauchen würden. Das Ersparte schon vorher für ihre AUSBILDUNG zu verwenden, ein solcher Gedanke konnte ihm, vor allem, was seine Töchter betraf, wie naturgemäß gar nicht kommen. Und noch in den Söhnen waren die jahrhundertealtenAlpträume der Habenichtse, die überall nur in der Fremde waren, so eingefleischt, daß einer von ihnen, der mehr zufällig als geplant eine Freistelle auf dem Gymnasium bekommen hatte, die unheimische Umgebung schon nach ein paar Tagen nicht mehr aushielt, zu Fuß in der Nacht die vierzig Kilometer von der Landeshauptstadt nach Hause ging und vor dem Haus – es war ein Samstag, an dem üblicherweise Haus und Hof sauber gemacht wurden – sofort ohne ein Wort den Hof zu kehren anfing; das Geräusch, das er mit dem Besen machte, in der Morgendämmerung, war ja Zeichen genug. Als Tischler sei er dann sehr tüchtig und auch zufrieden gewesen.
    Er und sein ältester Bruder sind im Zweiten Weltkrieg bald umgekommen. Der Großvater hatte inzwischen weitergespart und das Ersparte in der Arbeitslosigkeit der dreißiger Jahre von neuem verloren. Er sparte, und das hieß: er trank nicht und rauchte nicht; spielte kaum. Das einzige Spiel, das er sich erlaubte, war das sonntägliche Kartenspiel; aber auch das Geld, das er dabei gewann – und er spielte so vernünftig, daß er fast immer der Gewinner war –, war Spargeld, höchstens schnippte er seinen Kindern eine kleine Münze davon zu. Nach dem Krieg fing er wieder zu sparen an und hat, als Staatsrentner, bis heute nicht damit aufgehört.
    Der überlebende Sohn, als Zimmermeister, der immerhinzwanzig Arbeiter beschäftigt, braucht nicht mehr zu sparen: er investiert; und das heißt auch, er kann trinken und spielen, das gehört sich sogar so. Im Gegensatz zu seinem ein Lebtag lang sprachlosen, allem abgeschworenen Vater hat er damit wenigstens eine Art Sprache gefunden, wenn er diese auch nur benutzt, als Gemeinderat eine von großer Zukunft mittels großer Vergangenheit schwärmende weltvergessene kleine Partei zu vertreten.
    Als Frau in diese Umstände geboren zu werden, ist von vornherein schon tödlich gewesen. Man kann es aber auch beruhigend nennen: jedenfalls keine Zukunftsangst. Die Wahrsagerinnen auf den Kirchtagen lasen nur den Burschen ernsthaft die Zukunft aus den Händen; bei den Frauen war diese Zukunft ohnehin nichts als ein Witz.
    Keine Möglichkeit, alles schon vorgesehen: kleine Schäkereien, ein Kichern, eine kurze Fassungslosigkeit, dann zum ersten Mal die fremde, gefaßte Miene, mit der man schon wieder abzuhausen begann, die ersten Kinder, ein bißchen noch Dabeisein nach dem Hantieren in der Küche, von Anfang an Überhörtwerden, selber immer mehr Weghören, Selbstgespräche, dann schlecht auf den Beinen, Krampfadern, nur noch ein Murmeln im Schlaf, Unterleibskrebs, und mit dem Tod ist die Vorsehung schließlich erfüllt. So hießen ja schon die Stationen einesKinderspiels, das in der Gegend von den Mädchen viel gespielt wurde: Müde/Matt/Krank/Schwerkrank/ Tot.
    Meine Mutter war das vorletzte von fünf Kindern. In der Schule erwies sie sich als klug, die Lehrer schrieben ihr die bestmöglichen Zeugnisse, lobten vor allem die saubere Schrift, und dann waren die Schuljahre auch schon vorbei. Das Lernen war nur ein Kinderspiel gewesen, nach erfüllter Schulpflicht, mit dem Erwachsenwerden, wurde es unnötig. Die Frauen gewöhnten sich nun zu Hause an die künftige Häuslichkeit.
    Keine Angst, außer die kreatürliche im Dunkeln und im Gewitter; nur Wechsel zwischen Wärme und Kälte, Nässe und Trockenheit, Behaglichkeit und Unbehagen.
    Die Zeit verging zwischen den kirchlichen Festen, Ohrfeigen für einen heimlichen Tanzbodenbesuch, Neid auf die Brüder, Freude am Singen im Chor. Was in der Welt sonst passierte, blieb schleierhaft; es wurden keine Zeitungen gelesen als das Sonntagsblatt der Diözese und darin nur der Fortsetzungsroman.
    Die Sonntage: das gekochte Rindfleisch mit der Meerrettichsoße, das Kartenspiel, das demütige Dabeihocken der Frauen, ein Foto der Familie mit dem ersten Radioapparat. Meine Mutter hatte ein übermütiges Wesen, stützte auf den Fotos die Hände in die Hüften oder legteeinen Arm um die Schulter des kleineren Bruders. Sie lachte immer und schien gar nicht anders zu können. Regen –
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